Willenbrock

Deutschland 2004/2005 Spielfilm

Verdrängung ist lebenserhaltend

Der Gebrauchtwagenhändler, seine Frau und der Dieb: Interview mit Andreas Dresen zu "Willenbrock".



Katharina Dockhorn, filmecho/filmwoche, Nr. 10, 12.03.2005


Andreas Dresen adaptierte im vergangenen Winter in Magdeburg für die Ufa Christoph Heins Roman "Willenbrock", den der Delphi Filmverleih nach den erfolgreichen Uraufführungen bei der Berlinale und in der Eibmetropole am 17. März in die Kinos bringen wird.


Filmecho: In mehreren Szenen sitzt Christoph Hein im Hintergrund, als würde er sein Einverständnis zur freien Adaption geben ...

Andreas Dresen: Hein war sehr kulant. Als wir ihm die letzte Drehbuchfassung mehr oder weniger zitternd geschickt haben, weil wir viel verändert hatten, hat er einen ganz bezaubernden Brief geschrieben: Man könne bei einer Adaption zwei Fehler machen. Man bleibt zu dicht am Roman oder man entfernt sich zu weit vom Roman. Beides ist hier nicht passiert. Er kam uns in Magdeburg am Set besuchen und ich wollte, dass er als kleiner Spaß für Insider zu sehen ist. Das halbe Team tritt im Film auf. Das ist eine schöne Erinnerung und zum anderen ganz lehrreich, jeden kurzzeitig vor die Kamera zu setzen. Dann begreifen viele, was es für die Schauspieler bedeutet sich zu produzieren.

Filmecho: Was hat sie an dem Roman interessiert?

Dresen: Hier wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der eine starke Verunsicherung erfährt. Er ist in seiner Welt der kleine König: Erfolgreicher Unternehmer, besitzt Reihenhaus und Datsche und trifft mehrere Freundinnen. Das könnte so weiter gehen. Nach einem Überfall muss er erfahren, dass die Welt rabiate Risse hat. Das führt zu einem bitteren Weg der Erkenntnis. Hinter der Geschichte des Gebrauchtwarenhändlers Willenbrock fand ich nicht nur einen sehr politischen Stoff. Er überschneidet sich auch mit meiner Alltagserfahrung. Ich neige auch zum Verdrängen. Verdrängungsmechanismen sind für uns lebenserhaltend. Allerdings ist das auch gefährlich, weil man Konflikte der Welt damit auch wegschiebt und überrascht ist, wenn sie einem wieder auf die Füße fallen.

Filmecho: Am Set hatten Sie erzählt, dass Sie selbst in Griechenland überfallen wurden und diese Art der Verunsicherung auch gespürt haben. Also ist der Film auch eine Art Selbsttherapie?

Dresen: Ich bin Gott sei Dank nicht wie Willenbrock niedergeschlagen worden. Bei uns stand jemand im Haus und ich bin ihm nackt hinterher gerannt. Es hat ein paar Wochen gedauert, in denen ich mich zu Hause eingeschlossen habe, um die Angst zu überwinden. Man lernt mit dieser Erfahrung zu leben. Da hat mir der Film auch geholfen.

Filmecho: Sie ziehen die Geschichte des Romans aus der Nachwendezeit konsequent in die Gegenwart. Daher fällt auch der Strang um die Bewältigung der Vergangenheit und der Bespitzelung Willenbrocks durch den Stasi unter den Tisch.

Dresen: Ich schwenke nur enpasent mit einem Flugzeugbild von Willenbrock und dessen Bruder auf das Thema. Zugleich ist es ein wichtiger Moment um zu zeigen, dass Willenbrock mal ein Träumer war, in den sich Susanne verliebt hat. Ansonsten hat es mich schlicht und einfach nicht interessiert, den Film als Nachwende-Ost-Geschichte zu behandeln und diese Stasi-Verstrickungen zu erkunden. Obwohl ich gerne mal einen differenzierten Film darüber machen würde. Aber ich habe immer das Gefühl, dass die Zeit dafür noch nicht da ist und das Publikum es noch nicht sehen will.

Filmecho: Zugleich bekommen die drei Frauen um Willenbrock im Film stärkeres Gewicht als im Roman.

Dresen: Im Roman wird Willenbrocks Wandlung durch ihn reflektiert. Für einen Film braucht man jedoch szenisches Material. Da boten sich die Liebesgeschichten an, weil das was sehr Konkretes ist. Wir haben die Geschichte seiner Ehefrau stark dramatisiert. Im Roman verändert sie sich kaum und bleibt die ganze Zeit bei ihm. Bei uns macht sie eine einschneidende Veränderung durch, weil wir merkten, dass wir die Krise der Hauptfigur im Beziehungsgeflecht zeigen müssen.

Filmecho: Nachdem Sie bei "Halbe Treppe" ohne Buch gearbeitet haben, stützten Sie sich jetzt wieder auf ein Drehbuch als Korsett. Wie haben Sie die Veränderung empfunden?

Dresen: Ich hatte Angst davor. Wir hatten ja in den letzten drei Produktionen eine Befreiung vom Filmapparat vollzogen, die ich als sehr angenehm empfand. Letztendlich war es gar nicht schlimm. Es hat auch Spaß gemacht, auf bestimmte Art wieder Bilder zu bauen und sehr gezielt vorzugehen. Trotzdem hatten wir nicht das Gefühl, dass wir alle Erfahrungen von "Halbe Treppe" über Bord schmeißen müssen. Wir drehten Einstellungen, damit die Schauspieler in der Emotion bleiben. Das war mit dem Cineformat wunderbar möglich. Und es war für mich auch spannend, weil in dem Film Szenen vorkommen, die ich noch nie gemacht habe. Wie die Loriot-artige Szene, in der Willenbrock mit einem Ehepaar eine Probefahrt macht oder der Überfall, für den ich viel bei Hitchcock gekiebitzt habe. Ich wollte in dieser Szene die Genrespielregeln einhalten, aber doch überraschen. Denn der Überfall muss mit der entsprechenden Wucht wie ein Blitz in den Film einschlagen. Bevor Willenbock niedergeschlagen wird, sieht man daher ihn und seine Frau fast 2,5 Minuten eine Treppe runterlaufen. Als wir das drehten, hat mein Team mich für verrückt erklärt und prophezeit: das schneidest du später raus. Ich wusste aber, dass diese Minuten extrem wichtig sind, damit die 50 Sekunden Überfall umso kräftiger werden.

Filmecho: Wird dies noch betont, in dem Sie auf die Musik in dieser Szene verzichten?

Dresen: Die musikalische Verabredung gibt dem Zuschauer immer das Gerüst, an dem er langgehen kann. Wir haben damit experimentiert und uns entschlossen, es wegzulassen, weil das eine starke Verunsicherung verursacht. Die Szene erhält einen dokumentarischen, beinahe schon absurden Moment, wie Axel Prahl kämpft, das ist nicht sehr geschickt. Er verhält sich so, wie man sich in einem Affekt verhält. Das ist eine interessante Erfahrung, wo man so was zum ersten Mal machen darf und die Filmkunst neu entdeckt für sich und neu erobert.

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