Der Krieger und die Kaiserin

Deutschland 1999/2000 Spielfilm

Sissi springt

Es gibt ein Leben nach Lola: Tom Tykwers neuer Film "Der Krieger und die Kaiserin"


Peter Körte, Frankfurter Rundschau, 11.10.2000

Wer als Filmemacher gerne mal in der Haut von Tom Tykwer gesteckt hätte, würde sie derzeit vermutlich lieber wieder verlassen. Denn wer "Lola rennt" gedreht hat, dem muss nach dem enormen Erfolg des Films, der selbst blässliche Politiker nicht vorm Titelplagiat zurückschreckten ließ, doch ein wenig mulmig sein, wenn sein neuer Film ins Kino kommt. Die Erwartungen, die Tykwer geschürt hat, muss er erst mal einholen, weil "Lola" zugleich einzigartig und paradigmatisch war für das, was im deutschen Kino möglich ist, weil US-Branchenblätter Tykwer als "hot director" feiern und weil daheim eine Fangemeinde ungeduldig wartet.

In "Der Krieger und die Kaiserin" wird nicht gerannt. Nur einmal, allenfalls. Der Rhythmus ist ruhiger, der Stil weniger wild und experimentierfreudig. Vermutlich werden nicht alle, die "Lola" mochten, den Film mögen, und gerade deswegen bestätigt er nachdrücklich, welches Potenzial in Tom Tykwer steckt. Er nimmt sich die Zeit für die Figuren, die in "Lola" nicht blieb, und was das visuelle Gespür angeht, muss man nach einem Team wie Tykwer/Frank Griebe (Kamera) in Deutschland suchen. Die Geschichte erzählt sich durch das Bild – nur weil das im Kino eine Trivialität ist, kann es noch längst nicht jeder. Und wenn man die Story resümieren will, so fiele das am leichtesten in einer kurzen Folge von Schlüsselbildern, die keiner Dialogsätze bedürften.

Bodo ist der "Krieger", ein ehemaliger Bundeswehrsoldat, dessen Frau tödlich verunglückte. Sissi, die eigentlich Simone heißt, ist die "Kaiserin", eine Krankenschwester in der Psychiatrie, wo ihr Vater Patient und ihre Mutter ebenfalls Schwester war. Bodo will raus, nach Australien, und eine jener Begebenheiten, die man je nach Gemütsverfassung Zufall oder Bestimmung nennen kann, führt die beiden zusammen. Ein Luftröhrenschnitt unterm Lastwagen, der Sissi angefahren hat, eine Tracheotomie mit dem Taschenmesser. So rettet er sie, und sie verliebt sich in ihn, der sie beharrlich ignoriert, als sie ihn wieder gefunden hat. Dann rettet sie ihn vor der Polizei, weil sie "zufällig" bei seinem Banküberfall anwesend ist, und versteckt ihn in der Anstalt. Und weil das schon märchenhaft genug ist, darf diese Story auch in Wuppertal spielen, Tykwers Geburtsstadt, die sich beinahe ein einen magischen Ort verwandeln lässt, während das Bergische Land einmal sogar aussieht wie der Mittlere Westen in Hitchcocks "Der unsichtbare Dritte".

Wie Schlafwandler bewegen sich die beiden durch die Stadt, wie ferngesteuert, und an der Fernbedienung sitzt das Schicksal. Krieger und Kaiserin sind ein bisschen aus der Welt gefallen, wobei Benno Fürmann als Bodo manchmal zu heftig in Leere stiert, während Franka Potente bei aller leichten Entrückung doch nicht nur die naive reine Helferseele im weißen Kittel ist, sondern eine junge Frau, die mit List und Starrsinn durchsetzt, was sie will.

Und Tom Tykwer hat dabei den Mut, die Dinge so zu zeigen, wie sie den beiden erscheinen. Realismus war auch schon in "Lola rennt" nur eine Option unter vielen. Auf der Flucht lässt Bodo einfach sein depressives Alter ego hinter sich – der unsichtbare Zweite geht auf einen Acker, er steigt in einen Bus und fährt davon mit seinem toten Bruder (Joachim Król). Und weil die Welt unterm Blick der beiden nun mal anders aussieht, dreht Tykwer immer wieder den Ton weg; die Umweltgeräusche verhallen, manchmal füllt Musik die unheimliche Stille. So zeigt die Kamera, statt mit unbeteiligtem Auge ein Geschehen aufzuzeichnen, die Welt, wie sie für die beiden ist.

Durch solche Perspektivwechsel verfremdet der Film auch immer wieder Standardsituationen wie einen Banküberfall. Er dehnt, wo andere raffen, und vice versa, er verändert das Timing, spielt mit Effet und setzt auf gefühlsintensive Einstellungen wie Totale und Großaufnahme. Was ist schon die kriminelle Energie zum Überfall einer Bank gegen die Energie einer verliebten Frau? Was ist sein Zögern, wenn sie ihn auf dem Klinikdach an die Hand nimmt und einfach mit ihm springt, runter vom Kuckucksnest? Und in einer der schönsten Szenen des Films legt sich die abgewiesene Sissi verzweifelt auf eine nächtliche Wiese, sie träumt von Bodo, und auf einmal geht ihr Traum nahtlos in seinen über. " I wanna be in your dream if you wanna be in mine" hieß das bei Bob Dylan, und solche Seelenverwandschaften und Koinzidenzen sind es, die den Charme des Films ausmachen.

So seltsam, wie es auf den ersten Blick scheint, ist es daher auch gar nicht, dass Tykwer mit "Heaven" gerade ein Drehbuch des verstorbenen Krzysztof Kieslowski verfilmt hat. Ein Leitbild sei der Pole nie gewesen, hat Tykwer gesagt. Doch wer nicht in "Lola rennt" ein wie immer schwaches Echo aus Kieslowskis "Der Zufall, möglicherweise" hört, wer nicht bei den seltsamen Verkettungen von "Der Krieger und die Kaiserin" zumindest flüchtige Assoziationen mit der "Drei-Farben"-Trilogie oder den "Zwei Leben der Veronika" vorbeirauschen sieht, ist von Missverständnissen nicht sicher. Frei vom religiösen Subtext Kieslowskis gibt es bei Tykwer eine spielerische Präsenz des Schicksals und eine Logik der Entwicklung, die vom üblichen Plotschema der Ursachen und Wirkungen ziemlich weit entfernt ist.

Und wenn man dem Klang des Filmtitels noch einmal nachhört, dann denkt man vielleicht an Chen Kaige oder an eine Sage aus fernen Zeiten, und mag das Ganze auch in Wuppertal spielen, so abwegig ist diese Assoziation nicht. Im märchenhaften Nebel, wie verwunschen, liegt das verwitterte Steinhaus am Anfang und am Ende auf den Klippen über dem Atlantik. Und wenn der Brief von Sissis Freundin, der die ganze Handlung in Bewegung gesetzt hat, durch das persönliche Erscheinen seiner Adressatin beantwortet wird, wenn sich die Kamera langsam zurück zieht, bis das Haus in der Landschaft verschwunden scheint, dann würde man sich nicht wundern, wenn einem eine Off-Stimme zuflüsterte: " Und wenn sich nicht gestorben sind..."

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