Die Spielwütigen

Deutschland 1997-2004 Dokumentarfilm

Hohe Ansprüche an Glaubwürdigkeit

Andres Veiels neue Dokumentation „Die Spielwütigen": Schwierige Drehs an einer Schauspielschule.



Katharina Dockhorn, filmecho/filmwoche, Nr. 23, 05.06.2004

Andres Veiel, geboren 1959 in Stuttgart, studierte Psychologie und machte parallel eine Regie- und Dramaturgieausbildung am Künstlerhaus Bethanien. Mit seinen Dokumentarfilmen "Balagan", "Die Überlebenden" und "Black Box BRD" schrieb er Filmgeschichte. Seit 1996 beobachtete er die vier Schauspielstudenten Prodomos Antoniadis, Constanze Becker, Karina Plachetka und Stephanie Stremler bei der Ausbildung an der Hochschule "Ernst Busch" und den ersten Schritten ins Berufsleben.

Filmecho: Jeder Film sei eine Reise, die Sie antreten, um neue Entdeckungen zu machen, haben Sie mal gesagt. Was hat bei diesem Thema die Neugier geweckt?

Andres Veiel: Das ist mein großes Privileg, dass ich mir künstlerisch bewusst machen kann, was mich bewegt. Es müssen eigene Fragestellungen sein, die zu meiner Schaffensschraube werden. Ich war neugierig auf die nächste Generation. Ich war Mitte 30 als ich mit dem Film begann, gerade Vater geworden und meine Bedürfnisse hatten sich verschoben. Zwischen den Studenten und mir lagen Kontinente. Meine Eltern haben einen Teil ihrer Jugend durch den Zweiten Weltkrieg verloren und wurden dadurch geprägt. Aus dieser fundamentalen Verunsicherung heraus hatten sie ein ausgeprägtes Sehnen nach Sicherheit entwickelt und kaum Lust zu experimentieren. Daraus leitete sich ab, dass ich etwas Handfestes lernen sollte, bevor ich in einen künstlerischen Beruf gehen kann. Diese Erfahrung hat meine Generation geprägt – bei unseren eigenen Kindern wollen wir es besser machen. Sie sollen ihrem Wunsch nachgehen, so exotisch der auch sein mag.

Filmecho: Gleichzeitig porträtieren Sie eine Generation, die oft ohne Grenzen aufgewachsen ist.

Veiel: Vor ihnen steht die Frage, wie können wir uns selbst Grenzen setzen oder wie gehen wir mit Grenzen um, wenn sie plötzlich von außen wie in einer Institution wie der "Ernst Busch" gesetzt werden. Karina bringt es auf den Punkt: wenn Eltern immer für alles Verständnis haben, kann der Wunsch nach Rebellion nicht umgesetzt werden. Oder Constanze, die sich wünschte, sie wäre zunächst bei der Eignungsprüfung durchgefallen, um überhaupt mal einen Widerstand zu spüren.

Filmecho: ...an den manche Studenten so schmerzhaft scheiterten, dass sie sogar in die Psychiatrie eingeliefert wurden. Ärgert man sich eigentlich als Filmemacher, wenn man solch Extreme verpasst?

Veiel: Man muss nicht zeigen, wie Menschen psychisch zerbrechen, sondern wie Menschen mit einem gesunden Selbstbewusstsein an den Punkt des absoluten Zweifels kommen. Der Schlaflosigkeit und die Morgenstunden, in denen sie nicht weiter wissen. Das zeigen wir sehr deutlich, dass es zu den Gesetzmäßigkeiten einer Institution wie der "Ernst Busch" gehört – aber auch anderer Eliteschmieden wie z. B. Harvard – Menschen an diesen Punkt zu bringen. Das ist Teil der Struktur der Ausbildung. Dabei geht bei einigen sehr viel Persönlichkeit drauf, die erst später zurückkommt wenn man Glück hat. Und damit sind wir mitten in einer aktuellen Diskussion: Welchen Preis habe ich zu bezahlen, wenn ich mich solch einer Eliteausbildung ausliefere?

Filmecho: Die Lehrkräfte kommen zum Teil auch nicht sehr gut weg. Wie haben die Dozenten auf den Dreh reagiert?

Veiel: Es war teilweise schwerer die Kamera in der "Ernst Busch" aufzustellen als in der Vorstandsetage der Deutschen Bank. Jede Kameraposition mussten wir uns erkämpfen und massiv verteidigen. Die Kamera zeigt gnadenlos die Stärken und Schwächen der Dozenten auf. Daher gab es bei einigen große Befangenheit. Dazu kamen die sieben Studenten, die wir zunächst in die Auswahl mit einbezogen hatten und dann nicht genommen haben. Sie haben uns abgelehnt und alles getan, um die Dreharbeiten zu torpedieren.

Filmecho: Wonach wurden die Studenten ausgewählt?

Veiel: Bei Schauspielern habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass sie auf der Bühne schillern. Wenn man ihnen die Rolle nimmt, bleibt nichts als ein Hohlraum. Sie plappern. Sie wollen Aufmerksamkeit und um jeden Preis geliebt werden. Das wird zum Problem, wenn man einen Film nicht nur über Menschen auf, sondern auch hinter der Bühne machen will. Ich habe bei anderen nicht die Intensität und Faszination gespürt wie bei den vier. Meine Gedanken schweiften schon bei den Vorgesprächen ab. Wenn man sich dann für diese Studenten entschieden hätte, entsteht ein Teufelskreis, weil sie spüren, dass ich nicht an sie glaube und sie noch mehr machen, um diese Unsicherheit zu füllen.

Filmecho: War der Film auch eine kleine Probe für Ihr Spielfilmdebüt, das Sie für Zero-Film vorbereiten?

Veiel: Mir hat der Film viele Einsichten in die Arbeit mit Schauspielern gebracht. Ich lasse mich nicht leicht zufrieden stellen mit vordergründigem oder Bewährten und habe hohe Ansprüche, was die Glaubwürdigkeit betrifft. Ich habe auch gemerkt, dass die Übergänge vom dokumentarischen Arbeiten zum fiktiven Erzählen absolut fließend sind. Es muss mir nur gelingen einen Rahmen zu bauen, wo jemand sich präsentieren kann, und ich muss für jeden Schauspieler den Schlüssel finden, damit seine Energie freigesetzt wird. Das Befreiende am Spielfilm wird sein, dass ich nicht die Verantwortung für das Leben der Beteiligten trage wie bei meinen Dokumentarfilmen. Bei allen Filmen habe ich massiv in die Biographien der Beteiligten eingegriffen. Hier habe ich mit Stephanie an den Rollen gearbeitet, damit sie die Prüfung bei der Wiederholung schafft. Damit habe ich auch Verantwortung übernommen, denn es hätte passieren können, dass ich sie zu etwas ermuntere was sie letztendlich unglücklich macht.

Filmecho: Der Spielfilm soll sich um das Leben von Bernward Vesper, Gudrun Ensslin und Andreas Baader in den 60er Jahren ranken. Warum kehrst Du wieder zum Thema RAF zurück?

Veiel: Erstmal war ich sehr skeptisch, als mir das Thema angeboten wurde. Dann habe ich gemerkt, dass Thema ist so noch nie beackert worden. Alle Auseinandersetzungen mit ihren Biographien fangen mit dem Tod von Benno Ohnesorg an. Ensslin vertrieb mit ihrem Partner Bernward Vesper die Werke dessen Vaters, der in der NS-Zeit ein erfolgreicher Schriftsteller war. Und dann wird sie zur Ikone der RAF. Das wirft Fragen auf nach dem totalitären Erbe, das durch die Hintertür wieder eingezogen war, denn in jedem Aufbruch liegt auch eine Wiederholung. Insofern wird durch den Film die (Vor-)Geschichte der RAF neu erzählen.

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