Genuine

Deutschland 1920 Spielfilm

Genuine


tz, Berliner Börsen-Courier, 5.9.1920


"Caligari" war, vom künstlerischen Standpunkt aus, ein Erfolg – der Film "Genuine", der sich mit Bewußtsein in dieselbe Klasse stellt, ist keiner. "Caligari" war aus Schöpferfreude gemacht, "Genuine" ist mit der Absicht geschaffen worden, genau so einen Erfolg zu haben wie das berühmte Muster. Es wird an einzelnen Stellen, wie der Szene auf dem Magistrat, sogar ein bißchen nachempfunden.

Aber nicht das ist das Belastende, sondern die mangelnde Intensität mit der die Sache durchkomponiert ist. An Geld ist nicht gespart worden, man hat sich Kostüme und Dekorationen viel kosten lassen. Es ist eine ganze Anzahl hübscher Bilder in dem Film. Man hat sich dazu eigens in César Klein einen expressionistischen Maler von öffentlich bestätigtem Rang geholt. Man hat in Fern Andra eine außerordentlich hübsche und sogar mimisch ausdrucksfähige Schauspielerin verpflichtet, die in 6 Akten rund gerechnet 36 bizarre Kostüme tragen darf: Primadonna, die sie ist, spielt sie sie, wollüstig, grausam, zärtlich, immer mit dem Bewußtsein, daß die ganze Veranstaltung nur da ist, um zu zeigen, wie gut Fern Andra aussieht. Und dazu ist der Film vielleicht wirklich auch nur da. Ein Erlebnis, wie in "Caligari", das einen in das Traumleben mitreißt, einen in die Logik des Wahnsinns (sie ist keine, und ist doch eine) mit Selbstverständlichkeit einspinnt, ist er nicht. Er hat keine suggestive Kraft, bleibt totes Bilderbuch. Es ist alles viel zu sehr mit der kalten Hand gemacht. Man hat ungeheuer bizarre Dekorationen aufgebaut, aber man hat vergessen, Licht und Schatten mitspielen zu lassen. Die Bilder bleiben Photographien. Man hat in diese Bilder eine Handvoll Schauspieler gestellt, die keine innere Beziehung zu dem Stil ihrer Umgebung aufbringen können. Sie spielen, wie sie es in jedem anderen Film gewohnt sind, und wenn sie sich an die besonderen Verpflichtungen des Milieus erinnern, so grimassieren sie gewaltsam und hoffnungslos; man sieht wie sie sich um eine "Auffassung" quälen.

Und ebenso ist die Fabel in ihrem einfachen Fortschreiten zur Katastrophe nicht ergiebig. Das vielgebrauchte Klischee. Das dämonische Weib wird geliebt, läßt töten, liebt endlich "erlöst" selbst und wird (im Augenblick, da der Weg der Fortsetzung bedächtig bürgerlich nach dem Standesamt zeigt) als Hexe erschlagen. Es fehlt an Verwicklung und an Entwicklung, es fehlt an tragischem "Muß". Bei alledem ist der Film nicht schlecht. Er ist ein abend- und häuserfüllender prunkvoller Spielfilm, wie so viele andre, von denen er sich nur durch die aufgeklebte allermodernste Fassade unterscheidet. Aber da Alles daran so geflissentlich darauf angelegt ist, dem Publikum einzureden: "Genau so wie Caligari", so muß darauf hingewiesen werden, wie wenig er wie "Caligari" ist. Dort griffen Beleuchtung, Dekoration, Schauspieler, Regie und Fabel als miteinander wirkende Faktoren einer künstlerischen Einheit ineinander, hier sind sie nur organisch unverbundene Posten auf einer großen Ausgabenrechnung.

Wird dieser Unterschied nicht herausgehoben, so droht uns eine Sturmflut fabrikmäßig hergestellter Filme in "expressionistischer" Manier. Aber nicht die schiefen Dächer und Wände sind das Geheimnis des Erfolgs …

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