Genuine

Deutschland 1920 Spielfilm

Genuine


A. F., Der Film, Nr. 36, 4.9.1920


Gestern "Sumurun", heute Fern Andra in "Genuine" – man kann sich kaum einen größeren Gegensatz denken. Und der Umstand, daß man es beide Male mit Kunstwerken zu tun hat, zeigt so recht, wie weit die ästhetischen Grenzen des Filmes heute bereits gesteckt sind. Ich weiß nicht, wie weit Direktor Oliver das Fabrikationsprogramm der Decla-Bioscop mitbestimmt. Ich erinnere mich aber noch, daß er vor nicht langer Zeit einmal als wünschenswertes Ziel aussprach, die intellektuelle und soziale Oberschicht, sozusagen W und WW, für den Kinobesuch zu gewinnen. Wenn der große, geschickt geleitete Konzern diesem Ziele zustrebte, könnte er es nicht mit geeigneteren Mitteln tun, als durch seine bisherigen künstlerischen Großfilme. Sie schaffen geradezu eine neue Gattung. Mit dem Wort "Expressionismus" ist sie nicht abgetan, wie man wohl beim Erscheinen des " Des Cabinets des Dr. Caligari" meinte. Man könnte sie eher als "literarischen" Film bezeichnen, wenn diese gute Bezeichnung nicht so entsetzlich abgenutzt und mißbraucht worden wäre. Sie schaffen im Film etwa das, was die Werke Oscar Wildes, Stendhals oder Hans Heinz Ewers" für das Schrifttum sind: Schöpfungen feinster nervöser Spannungen, die aber durch ihren heißen Atem in gleicher Weise den literarischen Feinschmecker wie den einfachen Leser oder Zuschauer fortreißen.

Gab es für Fern Andra überhaupt noch einen anderen Rahmen? Können diese seltsam perversen Reize anders als in dieser Schlangenhaut, diesen exotischen Federkleidern wirken? Karl Mayer, der Verfasser des "Dr. Caligari", schrieb auch diese Tragödie eines seltsamen Hauses. Hier wie dort umfängt uns Blutgeruch und jenes Grenzgebiet zwischen Begierde und Irrsinn, das eine bestimmte Richtung der modernen Literatur kennzeichnet. Diese Genuine, die Priesterin eines geheimnisvollen

Menschenopferkultus, die nach dem Blut der Männer dürstet und erst an der Liebe von ihrem Rausche genest, zu spät, weil zur gleichen Zeit sie der Tod umarmt, führt eine Linie der Kunst gerade weiter, die in der Literatur unerhörte Erfolge errungen hat. Uns will scheinen, als wenn die vielseitige Künstlerin auf ihr zu neuen ungeahnten Erfolgen steigen könnte. Schon durch ihre Schönheit, von der jeder sich selbst überzeugen kann…

Mit glücklichem Griff hatte die Regie Dr. Wienes, die vor dem bizarren Hintergrund schön bewegte menschliche Linien zeichnete, den jungen Hans Heinz von Twardowsky in diese krause Welt gesetzt. Sein Florian geistert mit unheimlich bleichem Mördergesicht durch die Handlung.

Den reichen Sonderling, der Genuine auf dem Sklavenmarkt erwarb und als Versuchsobjekt gefangen hält, gab Ernst Gronau mit skurriler Gebärde. Als zweiter Liebhaber konnte Harald Paulsen nicht recht aus sich herausgehen, auch die Rolle des Curzon (Albert Bennefeldt) bleibt schon im Manuskript in kurzen Andeutungen stecken. Für die leicht expressionistischen Dekorationen und die märchenhaft schönen Kostüme ist César Klein zu erkennen. Die ausgezeichnete Photographie besorgte Willi Hameister.

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