Klassenfahrt

Deutschland 2001/2002 Spielfilm

Flirtende Fische

Feucht und unbeholfen: Teenieliebe in Henner Wincklers Filmdebut "Klassenfahrt"




Daniela Sannwald, Frankfurter Rundschau, 01.10.2002

Seit zwei, Jahren thematisieren deutsche (und österreichische) junge Filmemacher immer wieder die Pubertät als Lebensabschnitt der Irrungen und Wirrungen, der Blöd- und Verliebtheiten, der Identitäts- und Freund/innen-Suche, des Aufbegehrens gegen Autoritätspersonen und letztendlich auch gegen das eigene schwer zu fassende Ego. Das, was bei diesen filmischen Annäherungen herauskommt, hat in der Regel und erfreulicherweise nichts zu tun mit den Teenie-Klamotten aus Hollywood, die in erster Linie einem Marketing-Konzept und, wenn man Glück hat, in zweiter vielleicht wenigstens Genreregeln folgen. In jedem Fall platzen sie vor kreischender Cheerleader-Hysterie und Duschraum-Testosteron-Geprotze häufig aus allen Nähten. Und jeder Deutungsversuch in Hinsicht einer realistischen Abbildung des Lebensumfelds der Zielgruppe kann nur zu den zynischsten Schlüssen über den Teenager-Kult in den USA führen.

In unserem Sprachraum hingegen entwerfen Filme wie Grisebachs "Mein Stern", Jessica Hausners "Lovely Rita" oder Almut Gettos "Fickende Fische" differenziertere Bilder der Generation unter 20, und da die Regisseurinnen zwangsläufig mit Laiendarstellern arbeiten – so viele ehemalige Kinderstars gibt es halt nicht –, bekommen ihre Filme einen wahrhaft realistischen Ton, der weder durch den gestelzten Ernst von Fernsehkindern noch das hemmungslose, unreflektierte Ausstellen von jugendlicher Hipness getrübt ist.

Klassenfahrt, das Spielfilmdebüt des Berliner Regisseurs Henner Winckler, führt ins Nachbarland Polen und konfrontiert seine Protagonisten, Schüler auf einer Klassenreise, mit Gleichaltrigen aus dem Badeort an der Ostsee. Die melancholische Nachsaison-Stimmung zwischen Plattenbau-Hotels und unwirtlichen Lokalen und Hang-outs, die das Provisorische jenes Lebensabschnitts zwischen Kindheit und Erwachsensein unterstreichen, schließlich ein Gemisch polnischer, deutscher und englischer dahin genuschelter Sprachfetzen, bilden einen beinahe schmerzhaft realen Rahmen für eine ohnehin nicht besonders heitere Geschichte. Aber alles passt zusammen, und Henner Winckler ist ein kleines, unauffälliges Meisterstück gelungen. Etwas unwohl ist es Isa, aber durchaus erträglich: Sie sitzt zwischen Ronny und Marek am Beckenrand; alle drei haben weiße Handtücher umgewickelt; das Hotelschwimmbad steht an der polnischen Ostseeküste. Isa interessiert sich für Ronny, aber auch für Marek; und die beiden Jungen interessieren sich für sie.

Marek arbeitet im Hotel, Ronny geht mit Isa in eine Klasse; und gerade sind sie ein paar rasante Bahnen geschwommen, um das Mädchen zu beeindrucken. Zu reden gibt es nichts, und so sitzen sie da, die drei, und schauen geradeaus. Eine Situation, die einfach nicht vergehen will. Es sind solche Szenen, die Henner Winckler immer wieder besonders gut gelingen: Die ganze Zähigkeit und Langeweile des pubertären Daseins bringt er in seinem Film auf die Leinwand, so eindringlich, dass man für Momente selbst in die Pubertät zurückversetzt wird. Die Mädchen kichern und flirten; die Jungen gucken grimmig und flirten auch; alle trinken zu viel, schlagen sich die Nächte um die Ohren, und der Lehrer – die einzige Schwachstelle in diesem sonst so starken Film – ist eine lächerliche Klischeefigur. Ronny hält sich abseits, ist ein bisschen renitent, ein bisschen sperrig; und gerade deshalb findet Isa ihn spannend. Als sie den wenig älteren Marek kennenlernt, nimmt der sie mit in die Disco, und das findet sie auch ganz nett. Die beiden Jungen könnten sich mögen, aber sie sind eifersüchtig aufeinander. Und sie konkurrieren in so blöden Disziplinen wie "Alter" und "Schuhmodelle". Schließlich provoziert Ronny Marek zu einem sportlichen Wettkampf, dem er sich selbst gar nicht stellt.

Auch dieser Film wirkt so dokumentarisch, dass man Mühe hat, ihn als Spielfilm zu akzeptieren. Man mag und versteht die kichernden und sich in gefälligen Posen ausprobierenden Mädchen, man kann sogar nachvollziehen, warum die Jungen sie mögen. Man sympathisiert vor allem mit dem mürrischen Ronny, der sich so viel Mühe gibt, individuell zu sein. Und gleichzeitig gehen sie einem alle furchtbar auf die Nerven mit ihrem dumpfen Herum- hängen, verstockten Schweigen, den schlappenden Schritten und auch mit ihrer Scham, die falsch wirkt, aber echt ist. Henner Winckler hat schöne Bilder und passende Darsteller gefunden, um das Dilemma zu thematisieren, das die Pubertät bestimmt: das glühende Verlangen, etwas Besonderes zu sein und trotzdem in der Gruppe aufgehen zu können.

© Daniela Sannwald

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