Heute sterben immer nur die anderen

DDR Deutschland 1990/1991 Spielfilm

Heute sterben immer nur die anderen


Roland Rust, film-dienst, Nr.3, 05.02.1991

Drei Frauen, drei Haltungen zu Leben und Tod: Als die Tschechowschen Schwestern standen Maria, Hanna und Lisa einst gemeinsam auf der Bühne und träumten von einem erfüllten Leben, das noch vor ihnen zu liegen schien. Die Wiederbegegnung nach Jahren konfrontiert den nüchternen Alltag mit den überschwenglichen Sehnsüchten von damals und stellt ihre Freundschaft auf die Probe - Maria, Mitte fünfzig, ist unheilbar an Krebs erkrankt. Lisa versucht, den nahen Tod der Freundin zu verdrängen und stürzt sich in die berufliche Karriere, während Hanna aufopferungsvoll bis zur Selbstaufgabe Maria zur Seite stehen will. Doch als sie meint, die Todkranke nicht länger über ihren wahren Zustand täuschen zu dürfen, wird sie schockiert zurückgewiesen. Aus allen früheren Bindungen und Verpflichtungen entlassen, ist Maria nun ganz auf sich selbst geworfen. Sie droht vor dem unaufhaltsamen physischen und psychischen Verfall zu resignieren, bis sie in der Arbeit an ihren Lebenserinnerungen die Kraft findet, ihr Schicksal anzunehmen, und Hanna die spätere Veröffentlichung der Memoiren anvertraut. Am Ende steht Hanna der Freundin bis zur letzten Konsequenz bei. Um das Los der Sterbenden zu erleichtern, besorgt sie Tabletten, die einen raschen Tod herbeiführen können, und verweigert auch die tödliche Injektion nicht.

Sich offen dem Tabu-Thema Sterbehilfe zu stellen, gebührt gewiß Respekt. In seinem spekulativ-spektakulären Zuschnitt jedoch vereitelt der Film eine behutsame Annäherung an das kontroverse Sujet. Statt aus den unterschiedlichen Reaktionen der drei Schauspielerinnen ein spannungsreiches Geflecht menschlicher Lebensfäden zu weben, das im Angesicht des Todes auch die Bande der Freundschaft auf ihre Belastbarkeit hin auslotet, wird die heikle Problematik auf einen „Tabletten-Krimi" zusammengestutzt. Daß dabei auch die Intention der literarischen Vorlage, die Maria die Kraft finden läßt, die Tabletten abzulehnen, übergangen wurde, ist bei dem die äußere Spannung anheizenden Konzept von geradezu fataler Folgerichtigkeit. Das Beziehungsdreieck gerät völlig aus der Balance. Lisa wird von vornherein keine Chance gelassen, ihre – im Filmtitel formulierte – distanzierte Haltung plausibel zu machen, andererseits drängt die zur „Täterin“ avancierte Hanna mit permanent überspanntem dramaturgischen Gewicht Marias Selbstfindung in den Hintergrund. Den exzellenten Darstellerinnen, deren Einsatz den gänzlich überladenen Film vor der Kolportage bewahrt, wird wenig zugetraut. Noch bevor die beständig im düsteren Ambiente herumkreisende Kamera überhaupt einen Akteur ausmacht, wird die emotionale Stimmung von banalisierender Musik vorprogrammiert. Kommen die Protagonistinnen dann ins Bild, werden sie zu tränentriefenden Ausbrüchen forciert, die kaum mehr zwischen Filmrolle und Rolle im Film unterscheiden lassen. Siegfried Kühns Hang zum Theatralisch-Skurrilen, der an seinem frühen Film „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Platow"“ (1973) interessieren konnte, sich später wie in „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ (1983) aber immer weiter verselbständigte, gerät hier vollends außer Kontrolle. Ein über die Fahrbahn huschender Engel aus der Komparserie, gurrende Tauben auf kerzenbekränztem Klavier oder eine lebendige „Marionette“ auf Marias letzter Geburtstagsfeier bleiben als kunstgewerblich-symbolistische Zutat ebenso unmotiviert wie die in Zeitlupe zerdehnten kitschigen Illustrationen zu Marias Kindheitserinnerungen. Ständig wiederkehrende Reminiszenzen an eine Gondelfahrt auf Venedigs Kanälen werfen in ihrer penetranten Beschwörung des Morbiden zu den Klängen von Verdis „Requiem“ auch noch die letzten kritischen Ansätze der filmischen Gratwanderung über Bord.

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