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Leonberg

Filme und Fehler machen

Gespräch mit der Regisseurin Vanessa Jopp über "Vergiss Amerika"

Margret Köhler, film-dienst, Nr. 23, 07.11.2000

Vanessa Jopp gilt derzeit als eine Hoffnungsträgerin des deutschen Films. Mit "Vergiss Amerika", ihrem Debüt über zwei junge Männer und eine junge Frau, die trotz aller Alltagswidrigkeiten ihre Träume leben wollen, bewies sie Sensibilität und Gefühl für Atmosphäre (Kritik in dieser Ausgabe). Die Geschichte von Freundschaft und Liebe im Osten Deutschlands erhielt den diesjährigen Regieförderpreis der HypoVereinsbank während des "Filmfests München", den Studio Hamburg Nachwuchspreis (2. Preis) sowie den Ersten Preis bei den diesjährigen "First Steps Awards".

Wie kommt eine Frau aus dem Westen Deutschlands zu einem Film über ostdeutsche Befindlichkeiten?

Vanessa Jopp: Die Autorin Maggie Peren trat mit der Geschichte an mich heran, und ich war sofort Feuer und Flamme. Gemeinsam haben wir weiter recherchiert. Ich gehöre zu den Menschen, die sich schnell in Situationen hineinversetzen können, bin viel herumgereist und habe mich mit ganz normalen Menschen auf der Straße unterhalten. Wichtig war, dass fast alle Neben- und zwei der Hauptdarsteller aus dem Osten kommen, wie auch viele Team-Mitarbeiter. Ich habe mich beraten lassen. Aber da ich selbst aus einer Kleinstadt stamme, konnte ich die Gefühle der Protagonisten nachempfinden. Es geht doch eigentlich darum, dass junge Leute raus aus ihrer Umgebung, sich entfalten wollen. Dieser Wunsch ist nicht spezifisch "Ost" oder "West".

Was ist das für ein Gefühl, wenn der Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFFM) gleichzeitig abendfüllender Kinospielfilm ist?

Vanessa Jopp: Vor dem Drehen ist es die Hölle, weil ungeheure Ängste hochsteigen; die Frage, ob ich sechs Wochen Drehzeit packen werde, peinigte mich bis in die Nacht. Dann habe ich mir gesagt, du kannst den Film nur durchziehen, wenn du bei dir bleibst, dir den Druck von Leib hältst, wenn du das machst, was du für richtig hältst. Man benötigt als Regisseur eine ungeheure Offenheit, um Dinge wahrzunehmen. Das hat dann funktioniert. Beim Drehen hatte ich richtig Spaß, was wohl auch am netten Team und der lockeren Atmosphäre lag. Wir wohnten alle im selben Hotel, es herrschte so etwas wie Jugendlager-Stimmung.

Und die Durchsetzungsfähigkeit?

Vanessa Jopp: Ich bin schon manchmal etwas autoritär. Natürlich konnten die Schauspieler auf eine größere Erfahrung zurückblicken. Aber wenn man einige Male das Richtige sagt und tut, merken sie, die hilft mir auch. Das Vertrauen war relativ schnell da.

Was war das Schwierigste für eine Newcomerin?

Vanessa Jopp: Die Finanzierungsphase, diejenigen, die entscheiden, dazu zu bringen, an das Projekt zu glauben. Bei der Präsentation des Projekts hörten wir das Argument: Da passiert ja nichts, warum sollen wir da Geld geben? Das Prozedere zehrte ziemlich an die Nerven. Den größten Teil des drei Millionen-Mark-Budgets steuerte der MDR zu.


Wie sollte eine Nachwuchsförderung aussehen?

Vanessa Jopp: Es werden oft Projekte gefördert, ohne wirklich konstruktiv etwas zum Buch zu sagen. Davon haben wir vielleicht profitiert. Der Kampf um die Fördergelder betrifft alle, nicht nur den Nachwuchs. Auch die Bestimmung, das Eineinhalbfache der Fördersumme wegen der Effekte an einem Ort auszugeben, halte ich für verbesserungswürdig. Beste Erfahrungen habe ich mit dem Kuratorium Junger Deutscher Film gemacht. Eine Betreuerin kümmerte sich auch um das Buch und setzte sich dramaturgisch und inhaltlich mit uns auseinander – für Nachwuchsfilmer eine große Hilfe. Es müsste mehr qualifizierte Dramaturgen geben, das wäre ein Ansatz. Wenn man dann allerdings an jemanden gerät, der mit dem Buch nichts anfangen kann, ist das auch keine Lösung. Was Stoffentwicklung angeht, wird zu wenig getan und oft zu schnell gedreht, bevor das Buch überhaupt richtig steht.

Regiedebütanten fungieren oft auch als Autor; ziehen Sie Fremdstoffe vor?

Vanessa Jopp: Ich stieg von Anfang an ein und habe das jetzige Buch auf die Emotionalität der Figuren hin überarbeitet, eine angenehme Situation, weil man trotzdem immer nörgeln darf. Ich arbeite gerne mit anderen zusammen, sitze ungern allein am Computer und fühle mich als Autorin noch nicht so berufen. Es gibt genug Autoren, von deren Wissen ich profitieren kann.

Was reizt Sie an der Regie?

Vanessa Jopp: Eigentlich wollte ich Schauspielerin werden und begann Theater zu spielen. Beim ersten Film mit Freunden im Fach Kunstgeschichte merkte ich, dass die Schauspielerei mich doch nicht interessiert, sondern ich lieber den anderen sage, das muss aber so und so aussehen. Dieser kleine Videofilm stresste mich total, ich wusste nichts von Kamera oder Schnitt, ich war völlig fertig; dennoch löste die Arbeit ein absolutes Glücksgefühl bei mir aus. Auf einmal wusste ich, was ich wollte. Ich habe dann sofort mit dem Studium aufgehört, ein Jahr bei Filmproduktionen mitgearbeitet und mich dann an den Filmhochschulen in Ludwigsburg und München beworben.

Warum haben Sie die Spielfilmabteilung der HFF München gewählt?

Vanessa Jopp: An beiden Hochschulen wurde ich angenommen. Es war eine höllisch schwere Entscheidung. Die Wahl fiel dann auf München, weil mein Heimatort nur 20 km von Ludwigsburg entfernt ist, ich wollte nicht wieder nach Hause zurück. Am HFF-Studium gefällt mir die Praxis-Orientierung, man lernt, Filme und Fehler zu machen. Es ist eine harte Schule, man muss sich um alles selbst kümmern, da ist niemand der Händchen hält oder sagt, ich führe dich jetzt zur großen Regiekarriere. Manchmal habe ich mich auch sehr allein gefühlt mit meinen Kurzfilmen, die haben nicht sehr viel Kollegen interessiert. Es gibt viel Konkurrenz, und irgendwann sagt man sich, egal, ich mache mein Ding.

Die meisten Hochschul-Absolventen landen beim Fernsehen. Wo liegt Ihre Priorität?

Vanessa Jopp: Natürlich will eigentlich jeder Filmregisseur werden. Ich hatte zwei andere Projekte als Abschlussfilm, bei denen die Finanzierung nicht klappte, und ich dachte, jetzt muss ich mich beim Fernsehen bewerben. Dann hatte ich mit "Vergiss Amerika" Glück. Kino reizt mich schon wegen der größeren visuellen Umsetzungsmöglichkeiten. Bei einem Sender verlangt man nicht selten einen speziellen Look, das wäre mir schon zu viel Eingriff in meine Arbeit.


Was halten Sie von der Behauptung, TV-Soaps wären die beste Schule?

Vanessa Jopp: Ich glaube, ein Nachwuchsregisseur wird da schnell verheizt. Man mag bei den Sendern viel lernen, ab ich ziehe es vor, weniger zu drehen und mir aber ein Projekt genau auszuwählen. Dann arbeite ich auch gerne anderthalb Jahre daran, statt einen Fernsehfilm nach dem anderen durchzuziehen. Einen anspruchsvollen Kinofilm muss man gut recherchieren und inhaltlich vorbereiten, bei einem Nonstop-Verfahren mit drei Fernsehfilmen im Jahre sehe ich da schwarz. Mir waren die 30 Drehtage bei "Vergiss Amerika" schon zu kurz, beim nächsten Film mit Jana Pallaske und Robert Stadtlober bekomme ich vielleicht 40 Tage.

Um was geht es da?

Vanessa Jopp: Es ist die Liebesgeschichte von einem Straßenjungen und einem Mädchen, das gerade von zu Hause abhaut. Sehr existenzialistisch, teilweise auch sehr hart. Ich wollte von einer Teenager-Liebe erzählen, weil die meistens existenziell ist. Das Buch schrieb Kai Hermann, Autor von "Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Er hat eine neue Reportage für den "Stern" verfasst. Ich will aber nicht in "Christiane F." hineinrutschen oder Vergleiche herausfordern. Mein Film mit dem Arbeitstitel "Hexe und Zottel" ist etwas hoffnungsvoller und hedonistischer. Gedreht wird in Köln, auch, aber nicht nur wegen der NRW-Förderung.

Welche Art von Filmen liegt Ihnen am Herzen?

Vanessa Jopp: Die Zuschauer verlangen gute Geschichten, die ehrlich und realistisch sind, das beweisen Erfolge wie "American Beauty". In diese Richtung müssten wir auch in Deutschland gehen, solche Filme schweben mir vor. Mich interessieren weder Yuppie-Welten und noch Probleme irgendwelcher Loft-Bewohner, die einen Samenspender für ihr Kind suchen. Mir geht es um echte Gefühle und Authentizität. Manchmal frage ich mich, woher diese ganzen Kunstfiguren im deutschen Film kommen.

Die Gretchenfrage: Würde Sie irgendwann mal Amerika reizen?

Vanessa Jopp: Wenn ich nein sagen würde, wäre das gelogen. Sollte mal ein Angebot eintrudeln, warum nicht? Aber darüber zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Amerika ist nicht mein großer Traum, so lange hier die Möglichkeit besteht, Filme zu realisieren, die meiner Vorstellung entsprechen. Nur dann ist man als Regisseur gut. Allerdings: Ein bisschen Budget braucht man immer!

Haben Sie, ganz im Geheimen, ein Traumprojekt?

Vanessa Jopp: Absolut. Ein Road Movie à la "Wild at Heart", einen ganz großen und sehr abgefahrenen Liebesfilm. Der muss nicht nur in Deutschland spielen, obwohl es im Osten weite Landschaften gibt wie in Amerika. Ich könnte mir auch vorstellen, ein Road Movie quer durch Europa zu machen.

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