M

Deutschland 1931 Spielfilm

Fritz Langs Tonfilm "M"



Hans Feld, Film-Kurier, Nr. 110, 12.5.1931


(...)
Das Lichtspiel wird, endlich, zur Waffe im Kulturkampf.

Ein Stück vom Fragenkomplex der Zeit ward zum Zeitstück geformt.
Dies ist der große deutsche Film des Fritz Lang.
Wie sein Antipode, der Schöpfer des Berg- und Naturfilms, Arnold Fanck, steht der Fritz Lang mit beiden Beinen auf der deutschen Erde.

Beide stoßen sie aus dem Kulturkreis ihres Landes in die Weite der Welt vor; beide an Grenzen nicht gebunden eben weil sie ihre Einstellung nicht verleugnen, durch Konzessionen vertuschen. (...)

Ist es ein Appell gegen die Todesstrafe?

Der Mörder, gestellt, schreit schließlich den Erbfluch heraus, unter Zwang seine Untaten begehen zu müssen. Die Frauen dagegen – und nicht nur die auf der Leinwand – fordern Unschädlichmachung durch Vernichtung.

Für oder gegen? Es kommt nicht darauf an; die Entscheidung muß jeder für sich treffen. Auch Shakespeare leiht Shylock den Menschenschrei "Wenn Ihr uns stecht –", ohne daß die erdachte Monsterfigur dadurch sympathischer wird ... oder lebensnäher.
(Unberührt davon bleibt: Ob es nicht besser ist Ursachen zu beseitigen, anstatt an Folgen herumzuarzten.)

Es ist eine Logik ohne Erbittlichkeit, mit der vom Kino her die Stellungnahme zu einer Grundfrage der Gegenwart gefordert wird; das ist entscheidend.

Dies ist eine Fritz-Lang-Produktion.

Das Wunderwerk des Drehbuchs ist bis ins letzte gefeilt. Nicht eine einzige Passage zuviel; dazu eine harmonische Verteilung dramaturgischer Effekte.

Der Zusammenklang von Ton und Sprache hat eine Verknappung zur Folge gehabt. Bildfolgen wie jene einer Mörderpsychose, oder die von der präzisen Arbeit des Erkennungsdienstes sind, im Rahmen des Ganzen, Sonder-Meisterreportagen. (...)

Mit Selbstverständlichkeit wurden Bild und Ton getrennt. Immer da, wo die Konformität gedoppelt – und in der Wirkung somit halbierend – wäre, tritt an Stelle der Gleichheit eine Illustrierung: Teichoskopie, die dem Wort plastischen Hintergrund leiht. (Und erster großzügiger Versuch, der Asynchronität den Weg zu bereiten.)


An 80 Schauspieler

sind dabei und Figuranten echtester Prägung. Alle von Lang dirigiert prägnant eingesetzt. Der Mörder: Peter Lorre; vor der Kamera in den Nuancen einer außergewöhnlichen Mimen-Kunst festgehalten. Ein Einzelner, durch das Monumentale der Umgebung nicht erdrückt. Innerhalb des Gesamtwerks durchdringend, ans Menschlich-Ergreifende. Der Start, nicht weniger schwierig als reizvoll, ist überraschend geglückt.

Als Gegenspieler von Format erweist sich allein Otto Wernicke (...). Seine naturalistische Vollkraft setzt sich im Film ebenso durch wie auf der Bühne. Gustaf Gründgens dagegen gibt Exaltation an Stelle der Wucht; ein Hochstapler mehr denn ein Schränker. (...)

Ein deutscher Film, dem Weltstandard weit voran; ein neuer Rekord wird somit aufgestellt. Er ist, neben dem technischen Gipfelpunkt, bereichert durch das Dichterische.

Der Einzelfall eines Mörder-Außenseiters wird erweitert zu einem Aufriß der Umwelt. (Dies ist der Vorstoß, analog dem auf der Bühne von Brecht und Piscator unternommenen.)

Ein Fritz-Lang-Film, Dokument einer Filmzeit, in der zu leben sich verlohnt.

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