Die Verlobte

DDR 1979/1980 Spielfilm

Den Ton des Volkslieds angeschlagen oder Ihr verlangt viel…

"Die Verlobte"



Günter Agde, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 20, 1980




Wer diesen Film sieht, wird tief berührt sein – oder er ist abgebrüht und stumpf. Größe und Schönheit, Kraft und Sehnsucht einer Frau wird er sehen, der eine barbarische Macht zehn wichtige Jahre ihres Lebens nahm, und der ihre Liebe das Überleben gab.



(…) Der Film verdient mehr als Aufmerksamkeit oder Anteilnahme. Gewiß, das Thema ist uns wichtig und wird uns immer aufs neue wichtig sein. Der Film zeigt uns auch mancherlei aus jener finsteren Zeit, was die stattliche Anzahl guter Filme vor ihm nicht zeigte, vielleicht auch noch nicht zeigen konnte. Den Ton des Volksliedes wollten seine Schöpfer Günther Rücker und Günter Reisch anschlagen. Einfach, gradlinig, offen, ohne jeden überflüssigen Schnörkel. Daran halten sie fest, dabei bleiben sie. Konsequent bis zum trauervollen Schluß. Diese Erzählweise formte schon aus den dantesken, gewaltigen Schilderungen der Zeugin – die die Betroffene war – Eva Lippold, diese besondere, einzelne, einzigartige, überwältigende und so ganz unsensationelle Geschichte heraus. Sie erzählen diese Geschichte ganz genau, so genau, daß man beim Ansehen denkt - wenn man zum Denken kommt: nur so, nicht einen Deut anders muß es gewesen sein. Eine Authentizität, die sonst nur das Dokument kennt.



Dies gelingt, weil sie jederzeit genau beobachtete, beschriebene, gestaltete Details hinblättern als wäre das gar nichts. Schon das bildet eine enorme künstlerische Leistung. Aber vor allem gelingt dies, weil sie die Schauspieler – und insbesondere eine Schauspielerin: die Wachowiak – dazu rühren, Tiefe des Gefühls mit Echtheit zu verschmelzen und menschliche Größe mit Einfachheit, Charakterseiten – auch merkwürdige, schwer nachvollziehbare, niedrige – begreifbar, verständlich, aber nicht entschuldbar erscheinen zu lassen. Auch das geht nur über Genauigkeit, die Können und Geschmack jedes einzelnen Beteiligten und aller zusammen verflechten und so steigern. Hier gelingt es auf höchst; bemerkenswerte, große Weise. Allein Rolle und Darstellung der Hella durch Jutta Wachowiak ist sehenswert und großen Lobs würdig. Eine bekanntlich ausgezeichnete Schauspielerin steigerte sich in der Kunst der Menschendarstellung auf eine schwer zu erreichende, nicht so rasch wiederholbare Höhe. Aber ich sah auch keinen anderen Schauspieler, der nicht sein Bestes – in jeder Hinsicht – gab: Käthe Reichel, Inge Keller, Hans-Joachim Hegewald, Regimantas Adomaitis, Rolf Ludwig, all die anderen, besonders die Frauen. Und die Kamera Jürgen Brauers – wach, aufmerksam, keine Regung entging ihr, und nie würde sie zudringlich oder schamlos. Brauer setzte das Menschliche ins Optische. Nicht daß, sondern wie die Wachowiak durch die Dachluke spähte – und der Zuschauer mit ihr. Oder wenn Hella beim ersten gemeinsamen Mittagessen in der Zuchthauswäscherei ihre (wenigen) Genossen sucht und erkennt, stumm, mit großen Augen, Kraft dabei findend. Oder jene verstörte, hetzende, zwischen Zweifel und Ringen um klare Gedanken kippende Jagd, als Hella die Nachricht vom Pakt mit Nazi-Deutschland erhält. In die Leistung Brauers spielt natürlich die Montage hinein. Schwer und wohl auch unnötig, beides streng trennen zu wollen. Aber hervorheben möchte ich den durchkomponierten Einbau von Dokumentarfilmsequenzen, die Aufstieg und Niedergang des Nazireiches mit seltenen, kostbaren Aufnahmen mit historisch-gesellschaftlichem Hintergrund der Handlung beigeben. Auch damit wurde an beste Traditionen unserer Spielfilmproduktion angeknüpft. (…)

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