Der Sommer des Falken

BR Deutschland 1987/1988 Spielfilm

Der Sommer des Falken



HPK, film-dienst, Nr. 12, 14.6.1988

In den Bergen Südtirols: Das Bauernmädchen Marie pflegt einen jungen Falken gesund und findet in ihm einen Freund, mit dem es ein roter „Freundschaftsring“ verbindet. Als der alte Knecht Anton stirbt, bleibt der Falke der einzige Bezugspunkt in Maries Leben in der einsamen Natur. – Bottrop: Der etwas verschrobene Taubenzüchter Herbert vermißt seine Lieblings-Brieftaube, die er gen Alpen schickte. Er weiß nicht, daß sie das Opfer von Maries Falken wurde. Da er über seinen UKW-Empfänger immer noch Signale erhält, geht er davon aus, daß die Taube irgendwo in den Alpen in Gefangenschaft geraten ist. Marie trägt jedoch den Sender und eine Taubenkralle als Amulett um den Hals. Der arbeitslose Herbert macht sich auf, das Tier zu suchen. – Berlin: Rick, ein Junge, der sich ein wenig als Punker kleidet und schminkt – nicht zuletzt, um Schüchternheit und Ängstlichkeit zu überbrücken –, rüstet sich für einen Urlaub mit seinem Vater. In Südtirol soll er dessen Lieblingssport, Drachenfliegen, lernen. – München: Der zwielichtige Marek Czerny schlägt einem reichen Araber ein Geschäft vor: für 10.000 DM pro Ei will er das Gehege eines Falken stehlen. Auch ihn zieht es nach Südtirol, wo er bald Maries Falken und dessen Nest entdecken wird.

Diese vier Geschichten erzählt Arend Agthe zu Beginn seines Films nebeneinander, wobei er sich Zeit für Details nimmt und auf die Kombinationsfähigkeit des Zuschauers setzt, der bald ahnt, daß sich die vier Protagonisten früher oder später im Schatten der Südtiroler Gamskogelwand begegnen müssen. Daß Rick dabei zur primären Identifikationsfigur wird, weil ihm eine Entwicklung zugesprochen wird, ist bald sichtbar: Rick fühlt sich allein im luxuriösen Feriendomizil, der Vater ist trotz aller freundschaftlichen Zuneigung nicht der geeignete Ansprechpartner für ihn, im Drachenflieger-Kursus fühlt er sich eher verspöttelt als akzeptiert. So zieht es Rick bald zu Marie hin, die ihn nimmt, wie er ist. Solche Offenheit zahlt sich jedoch in Bezug auf Czerny nicht aus: Czerny erschleicht sich Maries Vertrauen, um das Gelege zu finden. Nachdem er versucht hat, Herbert, der ihm immer wieder in die Quere kommt, auszuschalten, tötet er den Falken. Marie und Rick können die Eier zwar retten, müssen aber noch den Endkampf in einer riesigen Naturhöhle überstehen.

Der Reiz dieser gewiß nicht tiefschürfenden Abenteuergeschichte liegt einerseits in der verschachtelten Erzählweise, der erst am Ende, nämlich dann, als alle Fäden zusammengelaufen sind, die Luft auszugehen droht; zum anderen setzt Agthe ähnlich wie in „Flußfahrt mit Huhn“ (fd 24 474) auf eine Kombination von skurrilen Momenten mit Spannungssequenzen, die vieles mit dem amerikanischen Unterhaltungskino zu tun hat, ohne daß dieses kopiert würde. Agthe gelingt eine eigenständige Spannungsdramaturgie; dies vor allem auf Grund der eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen, die den Ereignissen einen ebenso atmosphärisch dichten wie poetischen Hintergrund geben. Mag es der Erzählung auch manchmal an Leichtigkeit und vielleicht auch an selbstironischer Hintergründigkeit mangeln, so entsteht doch in der Summe ein sehr sympathischer Unterhaltungsfilm, dem man die große Kinoleinwand wünscht, damit er seine optischen und akustischen Qualitäten entfalten kann. Erst unter optimalen Vorführbedingungen vermittelt sich nämlich die fast beiläufige „Meta-Geschichte“ vom Mut, der Berge versetzt und die irdische Schwere aufhebt; dann erst wird empfindbar, daß Agthe mit den sinnlichen Mitteln des Unterhaltungskinos davon erzählt, was es heißt, wie ein Falke zu fliegen und durch die Lust auf Abenteuer irdische Schwere hinter sich zu lassen.

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