CineGraph Babelsberg e.V. präsentiert am Montag, 21. September, um 19 Uhr im Kino Arsenal in der Reihe FilmDokument Klaus Wildenhahns Dokumentarfilm "Der Tagesspiegel. Ein Film für West-Berliner Zeitungsleser und Journalisten" aus dem Jahr 1970.
Zum 25. "Geburtstag" des Berliner "Tagesspiegels" durften Klaus Wildenhahn und Rolf Deppe 1970 neun Wochen lang die Arbeit in der Redaktion beobachten. Es entstand ein zeittypischer Film: Mit kleinem Team, Handkamera und Originalton wurden Arbeits- und Machtstrukturen in einem wichtigen, aber so hautnah bis dahin kaum gezeigten Bereich der Gesellschaft beleuchtet und analysiert. Mit drei Beispielen aus der Drehzeit wurde zudem dokumentiert, wie nicht nur Nachrichten, sondern auch Meinungen gemacht werden und zuweilen ein Vorurteil zu einer nicht ganz korrekten Meldung führen kann.
Franz Karl Maier, der streitbare Verleger der Zeitung, war von dem Film wenig begeistert und drohte juristische Schritte an. Nach längeren Auseinandersetzungen ließ sich der NDR, Arbeit- und Auftraggeber der Filmemacher, auf Änderungen am ersten Teil der Dokumentation ein. Vor der, erst kurzfristig abgesagten, dann doch wieder ins Programm genommenen Erstsendung am 10. August 1971 wurde er um gut zehn Minuten gekürzt. Den zweiten Teil, der sich vor allem Maier widmete, soll der Sender unaufgeführt vernichtet haben.
Der "Tagesspiegel" selbst enthielt sich eines Kommentars, druckte aber vergleichsweise umfangreich Stimmen aus anderen Blättern ab. Der Tenor vieler Kritiken war negativ, Form wie Inhalt wurden bemängelt. So resümierte Gernot Sittner in der "Süddeutschen Zeitung" vom 12. August 1971: "Immer wieder viel zu lange Einstellungen, eine abstruse Mischung aus Interviews und 'Dokumentaraufnahmen', Statements, die aus einer Aneinanderreihung von Banalitäten bestanden – das waren die eigenartigen Stilmittel dieses Berichts. Nach diesem Film dürfte der Zuschauer mehr noch als vorher darüber rätseln, wie eine Zeitung gemacht wird und wie Journalisten arbeiten."
Der Film geriet weitgehend in Vergessenheit und wurde zu einer der am wenigsten bekannten Arbeiten Klaus Wildenhahns. Fast ein halbes Jahrhundert später stellt sich die Frage, ob sie wirklich so außergewöhnlich und vor allem so außergewöhnlich schlecht ist, oder ob die Kritiker nicht auch deshalb verärgert waren, weil gewisse Probleme und Widersprüche des Journalistenberufs doch recht exakt dargestellt wurden und Wildenhahn und Deppe damit einen Nerv trafen.
Quelle und weitere Informationen: www.filmblatt.de