Die Legende von Paul und Paula

DDR 1972/1973 Spielfilm

Die Legende von Paul und Paula




Fred Gehler, Sonntag, Berlin/DDR, Nr. 16, 1973

Über ein Bild der Oberfläche ist zunächst zu berichten: ein ungewöhnlich kräftiger Zuspruch des Publikums, Symptome des Angeregt- und Angerührtseins. Auf der Seite der professionellen Kritik ein Buchstabieren inhaltlicher und ästhetischer Unzulänglichkeiten. Der scheinbare Widerspruch löst sich bei genauerem Hinsehen auf Film und Rezeption. Beide reflektieren getreulich unsere derzeitige Kinosituation, nach vorn weisende Aspekte, aber auch Zwiespältiges.


Eine These: Stärken und Schwächen von Plenzdorfs/Carows Film werden in gleichem Maße und mit gleicher Intensität Anlaß für das rege, wenn auch differenzierte und differenziert zu untersuchende Publikumsinteresse. "Die Legende" erlaubt Aufschlüsse, wie es mit den so oft zitierten Ansprüchen an den Kinofilm denn nun eigentlich steht.

Ich meine, "das Publikum" honoriert zunächst die vom Film gegebene spezifische Sicht- auf die Wirklichkeit, die starke emotional-subjektive Haltung. Lebensgefühle und Lebenshaltungen werden in Paulas Geschichte transparent, die leicht identifizierbar sind, mit denen sich rasch eine Gleichstimmung herstellen läßt. Da ist die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, nach einer Möglichkeit, es nicht in Monotonie zu verplempern. Dieser Anspruch wird absolut von der Heldin formuliert: "Alles oder nichts", unbedingt, ohne Kompromisse, die zur Lebenslüge führen. In diesem Anspruch liegt Größe, die noch größer wäre, würde nicht das Szenarium diese schöne Sehnsucht – auch wieder absolut – nur der Heldin zubilligen (mit leichter Verspätung dann dem durch ihre Haltung geläuterten, zunächst höchst lauen und "nützlich" denkenden Paul). Mir scheint, die Autoren des Films schmälern das Wollen ihrer Paula, wenn sie es aus einer menschlichen Landschaft sprießen lassen, die zu kümmerlich angesät wurde. Da klaffen Diskrepanzen zwischen dem menschlichen Reichtum, der Gefühlstiefe und Phantasie der Heldin und der moralischen Armut der meisten beigegebenen Figuren als Folge einer vereinfachenden Polemik.




Wir sind im Kino nicht verwöhnt mit bewegenden Liebeserzählungen. Deshalb ein uneingeschränktes Ja zu diesem Versuch über die Liebe. Auch dazu, sich die Liebe nicht rhetorisch erschöpfen zu lassen, sondern über sie in der ihr gebührenden Sinnlichkeit zu erzählen. Als eine "Resurrektion der Natur", um mit dem jungen Marx zu sprechen. Der andere Mensch als Mensch zum Bedürfnis geworden. Am gelungensten in der filmischen Allegorie des Liebesbettes auf dem Strom. Hier wird das Thema auch zur visuellen Macht. Deswegen dünken mir andere erotisch gedachte Szenen zu sehr unter dem doch selbst gesetzten und mehrfach vorgegebenen Niveau zu liegen. "Die Legende" verdankt nicht nur musikalisch dem Beat sehr viel. Spürbar das Bemühen, etwas von der Geisteshaltung dieser Generation einzufangen, Musik nicht nur als Ohrwärmer zu "benutzen", sondern hinter Rhythmus und Texten Haltungen zu entdecken. Was ist echt, die lässige Forsche, das betont Rüde, das zur Schau gestellte Unkonventionelle? Oder was verbirgt sich hinter dem gleichfalls artikulierten romantischen Weltschmerz, den sentimentalen Träumen? Ist es Eskapismus oder ein noch ungerichteter Aktivismus? Was ist es, was "die Drachen steigen" macht?


Der Film ist mit einer sichtbaren Freude des Entdeckens am Werke, bleibt jedoch auf halbem Wege stehen. Das Ausstellen von Haltungen überwiegt. Es wird nicht versucht, ihren "Stellenwert" zu begreifen und begreifbar, zu machen. (…)

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