Melodie der Welt

Deutschland 1928/1929 Dokumentarfilm mit Spielhandlung

Melodie der Welt


Hanns G. Lustig, Tempo, Nr. 61, 13.3.1929


Walther Ruttmann, ein klarsichtiger, sehr gegenwärtiger Mensch, hat zunächst im Bild die Melodie des Täglichen, Sichtbaren, Wirklichen aufgespürt. (Der "Berlin"-Film.) Nun erfuhr man, er habe auch im hörbaren Erlebnis dieser Welt, in ihrem Fest- und Werktagsklang, in ihrem Tanz-, Gebets- und Todeston, in der tausendfachen Sprache des Leblosen, in China, Japan, Deutschland, Frankreich, die gegensätzlichen, im Höheren gebundenen Motive einer Melodie gefunden.

Man ist enttäuscht worden. Zunächst gibt Ruttmanns Tonbild-Bericht dem Ohr sehr wenig. Man hört die Sirene eines Dampfers heulen, Maschinen stampfen, die Zuschauer eines Sportereignisses schreien, einen exotischen Tänzer mit den Schuhen klappern. Der Rest ist die als Tonbild aufgenommene Begleitmusik Wolfgang Zellers, sehr mittelmäßig reproduziert, ausdrucksarm, etwas blechern, oft störend. Dieser automatische Lärm erweckt die Sehnsucht nach einem lebendigen, miterlebenden, klaren Orchester, wie es etwa die "Sturm über Asien"-Aufführung hatte.

Ruttmann zeigt in seiner Bild-Montage nirgends das Typische der Dinge. Er arbeitet ausschließlich, ohne jeden Wechsel des technischen Einfalls, mit Assoziationen. Bolle-Wagen, Ziege, Milchkuh, Kathedrale, Pagode, Moschee. Deutsche Mutter, Negermutter, Elefantenmutter.Katholische Messe, Derwischtanz. – Diese Assoziationen sind billig, sie werden von keiner großen Idee getragen, es sei denn von der nicht mehr verblüffenden Vorstellung von einer Gleichzeitigkeit und Verwandtheit alles Lebendigen, dem eine kleine, klischeehafte Kriegsvision mahnend entgegengesetzt ist. Die Bilder sind unscharf, oft gesehen, photographisch ohne besonderen Reiz. Sie werden blitzschnell gezeigt, haften nicht, bleiben starr, wie im Panorama-Theater. Sie sind – noch einmal! – untypisch. Der Russenfilm zeigt in fünf Minuten zehn unvergeßliche Gesichter. Ruttmann zeigt nicht ein einziges erinnerungswertes Profil.

Was er gibt, sind billig ausgeführte Bilder eines populären "Lexikons der menschlichen Rassen". Hier eine Palme im Hintergrund, dort ein japanisches Papierfenster, das sind nur abgebrauchte Attribute zur leichteren Orientierung des anspruchslosen, aber lerneifrigen Zuschauers. Eine große Anzahl lebloser Aufnahmen kann nicht einmal davon überzeugen, daß sie an Ort und Stelle gemacht sind.
Die Möglichkeiten des Tonfilms? Wir können sie noch nicht erkennen, weil wir noch immer keinen wirklichen Tonfilm gesehen haben. Ruttmanns Werk ist eine Bilderfibel mit karger Klang-Illustration. Was er darbietet, kann – schärfer, stärker, temperamentvoller – für die Wochenschau der Zukunft fruchtbar werden.

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