Steckbrief eines Unerwünschten

DDR 1975 TV-Film

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Heinz17herne
Heinz17herne
In „Steckbrief eines Unerwünschten“, einem von der Defa produzierten (PL Erich Kühne) Spielfilm-Hybrid für das Fernsehen der DDR, werden drei spektakuläre Undercover-Reportagen des 32-jährigen Enfant Terribles des bundesdeutschen Dokfilms („Ihr da oben, Wir da unten“) mit prominent besetzten nachgestellten Spielszenen gerahmt durch ein Gespräch zwischen Günter Wallraff und seinem Film-Darsteller Jürgen Reuter.

Darin wird Wallraff nicht wirklich mit den Argumenten seiner Gegner konfrontiert, wenn er auf seine „umstrittene Methode“ zur Materialbeschaffung angesprochen wird. Für die Babelsberger Filmemacher, die am Ende den linken Liedermacher Dieter Süverkrüp, der auf keinem DKP-, SEW- oder SDAJ-Fest fehlen durfte, eine Hymne auf Karl Marx anstimmen lassen, ist Wallraff Mittel zum Zweck, um ganz in „Schwarzbuch“- und „Braunbuch“-Manier die westdeutschen Manchester-Kapitalisten als unverbesserliche Alt-Nazis und Revanchisten zu entlarven mit dem Ziel, die DDR wenn schon nicht wirtschaftlich so zumindest moralisch als das bessere Deutschland darzustellen.

Günter Wallraff bekundet im Gespräch mit seinem Alter ego in den Spielfilmszenen, dass er stets Material aus erster Hand verwendet hat, welches er sich zumeist selbst beschaffen musste. Weshalb die Verkleidungen, in denen er aufgetreten ist, kein Selbstzweck waren: „Ich stehe mit meiner Person dafür ein, wovon ich berichte.“ Er habe Dinge bekannt machen, aus „Schweigezonen“ herausholen wollen. Um der Sache willen, aber auch, um bei den Betroffenen Empörung auszulösen: „Ich will, dass etwas in Bewegung gerät.“

Im Mittelpunkt seiner persönlichen Recherchen vor Ort standen bedeutende Industrieunternehmen wie der Automobilhersteller Ford, die Werft Blohm + Voss, die August-Thyssen-Hütte oder Siemens. Wallraff ließ sich, zum Teil mit Hilfe engagierter Gewerkschafter, als (Hilfs-) Arbeiter anheuern, um so „die Arbeitswelt von unten betrachten zu können“. Dabei sei es ihm gar nicht um einzelne perfide Auswüchse der sog. Marktwirtschaft gegangen, sondern um das funktionierende System des alltäglich-gesetzeskonformen Kapitalismus in Westdeutschland. Häufig sei er bespitzelt und bestohlen worden, verhindert aber wurde keine seiner Dokumentationen. Auch nicht durch angedrohte Gerichtsverfahren, denen Wallraff auch aus Gründen des Informantenschutzes nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen ist.

„Fürstmönch Emmeran“ ist die erste nachgestellte Spielfilm-Reportage betitelt, die unter der Illustrierten-Schlagzeile „Durchlaucht betet zu Kasse“ seinerzeit für Aufsehen gesorgt hatte – über den weiß-blauen Freistaat hinaus. Zusammen mit einem Mitstreiter hat sich Wallraff beim scheinbar gottesfürchtigen Pater Emmeran, Spross der reichsten Familie der Bundesrepublik, als Laienmönch aufnehmen lassen in dessen Privatkloster vor den Toren Regensburgs. Ivo und Herbert erzählen nicht nur den Aufstieg der Familie Thurn und Taxis, die einst das europäische Postmonopol zu Multi-Milliardären machte, zu einem weltumspannenden Konsortium von zwanzig Konzernen und unermesslichen Ländereien auf mehreren Kontinenten, sondern auch die rigide, vor Erpressung nicht zurückschreckende „fürstliche“ Herrschaft des Erbprinzen Johannes über Regensburg.

Und entlarven die Geldgier des angeblich so frommen Gottesmannes, als jüngstes von sieben Geschwistern in der Erbfolge weit unten angesiedelten Onkels des regierenden Fürsten: Erst als die beiden zunächst sehr misstrauisch beäugten und weggeschickten jungen Männer eine fette Erbschaft ins Gespräch bringen, zeigt sich Pater Emmeran bereit, sie als Laienmönche aufzunehmen. Voraussetzung: die Erbschaft wird auf den als gemeinnützig eingetragenen und damit steuersparenden Trägerverein des selbsternannten Klosters ohne jegliche kirchliche Weihe übertragen.

Die zweite, „Melitta – wie du filterst!“ betitelte Reportage führt Günter Wallraff ins westfälische Minden in das 8.500 Beschäftigte umfassende Reich des einstigen Dresdener SS-Obersturmbannführers Benz. Der sein Unternehmen führt wie ein Arbeitslager, schwer bewacht von aus alten SS-Kameraden rekrutierten Werkschutzleuten. Wallraff erhält einen Job als „Hilfswerker“ im Versand mit der wenig verlockenden Perspektive, nach zehn Jahren zum „Stammwerker“ befördert zu werden. Voraussetzung ist nicht nur, dass er unbezahlte Überstunden macht und die für seine Arbeit unabdingbaren Sicherheitsschuhe aus der eigenen Tasche bezahlt, sondern vor allem seine Zustimmung zur „Block aus Blei“ genannten Betriebssatzung des Kaffee- und Filterproduzenten mit Orwellscher Überwachung in allen Räumen. Nach einem Punktesystem wird jede Arbeitsleistung bewertet: Wer krankgeschrieben ist, muss die Fehlzeiten durch freiwillige Mehrarbeit ausgleichen. Frauen erhalten generell bei gleicher Arbeit einen um 50 Pfennig geringeren Stundenlohn.

Weil Melitta hier an der Grenze zwischen Niedersachsen und Westfalen im weiten Umfeld der einzige nennenswerte Arbeitgeber ist, halten alle still unter Einschluss des die eigene Machtlosigkeit offen bekundenden sozialdemokratischen Bürgermeisters. Als Wallraff enttarnt wird, droht der Firmenchef Benz mit einem Millionenprozess. Den der Undercover-Reporter aber abwenden kann: Zum einen ist ihm selbst mit einer Märtyrer-Rolle nicht gedient im Hinblick auf weitere investigative Arbeiten, zum anderen müssten Informanten, die unter allen Umständen geschützt werden müssen, in den Zeugenstand treten.

„Mahlzeit, Herr Direktor“ führt Günter Wallraff – als Bote und Läufer an der Pforte - nach Köln in die von Adolf Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker entworfene Zentrale des weltumspannenden Versicherungskonzerns Gerling. Deren Direktor Dr. Hans Gerling führt sein Unternehmen wie der Feudalherr eines Ständestaates: Ganz oben das im Schnitt nur alle zwei Wochen betretene Reich des Chefs mit eigenem Aufzug, eigenem Speisesaal und eigenem Butler. Bei seinen seltenen Besuchen in der Konzernzentrale vermeidet er tunlichst jeden Kontakt zu einem Angestellten oder gar Arbeiter. In der Etage darunter das Direktorencasino mit erlesener Speisekarte und Schampus im Kühler neben jedem Tisch. Alle anderen müssen im Keller in der Kantine Schlange stehen.

Als Wallraff alias Friedrich Wilhelm Gieß seine Recherchen abgeschlossen hat, sorgt er selbst für einen großen innerbetrieblichen Knalleffekt, als er sich in seiner Boten-Dienstuniform ins Direktorencasino setzt und wie all' die darob entsetzten hohen Herren um ihn herum bedient werden will. Was den Kellnern natürlich sogleich verboten wird, den angeblichen Pförtner aber nicht weiter stört: Er schält sich eine Apfelsine und prostet dem eilig herbeizitierten Personalchef mit Weinbrand aus seinem Flachmann an. So hatte Wallraff die Lacher der überwiegenden Mehrzahl der Belegschaft einmal mehr auf seiner Seite...

Pitt Herrmann

Credits

Director of photography

Cast

All Credits

Director of photography

Cast

Duration:
105 Minuten
Screening:

Uraufführung (DD): 16.11.1975, DDR-TV

Titles

  • Originaltitel (DD) Steckbrief eines Unerwünschten

Versions

Original

Duration:
105 Minuten
Screening:

Uraufführung (DD): 16.11.1975, DDR-TV