Martins Tagebuch

DDR 1955/1956 Kurz-Dokumentarfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Eine ganz alltägliche Geschichte“ lässt sich der Sprecher aus dem Off vernehmen. Martin, der junge Titelheld der hybriden, mit inszenierten Szenen durchsetzten Dokumentation, hat Angst vor der Schule, vor seinem Vater und generell vor der Zukunft. Mit der Mutter könnte er vielleicht reden, aber seiner mangelhaften schulischen Leistungen wegen traut er sich nicht. Martin weiß, dass er sitzen bleibt, wenn es so weiterläuft wie bisher.

Der Klassenlehrer der 7b ist ratlos. Martins Vater, ein Schlossermeister, ist eh‘ davon überzeugt, dass die Schule seinen Sohn überfordert. Er lässt sich sein Tagebuch mit gefälschten Zensuren zeigen und wird vom Lehrer mit in die Klasse genommen. In der Mathestunde versagt Martin an der Tafel, was seinen schwer enttäuschten Vater türeschlagend den Raum verlassen lässt.

Die Schulmeisterschaften stehen bevor. Martin hat das Ziel, am Rodeltraining in Oberhof teilnehmen zu dürfen. Er gewinnt das erste Ausscheidungsrennen, hat danach aber Pech und außerdem seine Deutsch-Hausaufgaben vergessen. Vom Vater als unzuverlässig und faul gescholten muss Martin auf den zweiten Lauf verzichten und stattdessen ein Gedicht abschreiben.

Es kommt noch ärger: Unter emotionalem Stress versagt Martin bei der Mathearbeit auch deshalb, weil ihm sein Banknachbar nicht helfen wollte. Und dann verspotten ihn die anderen Siebtklässler auch noch mit einer Zeichnung in der Wandzeitung. „Was machen wir jetzt mit dir?“ fragt der Lehrer – und gibt selbst die Antwort: „Wir kriegen das schon wieder hin!“

Zum Glück bekommt Martin nicht mit, dass ihn sein Vater gegenüber seinen Arbeitskollegen als „Scheißkerl“ und „Lügner“ beschimpft. Martin traut sich kaum noch in die Klasse, weil er den Spott seiner Mitschüler fürchtet. Er steht lange unschlüssig vor dem Raum der Jungen Pioniere, um sich dann doch Unterstützung durch Nachhilfe in seinen schwachen Fächern und regelmäßiges Abfragen zu holen.

Als der Lehrer Martins Vater schließlich von seinen schulischen Fortschritten berichtet und schildert, wie die Jungen Pioniere eine Modelleisenbahn gebaut haben, ist dieser versöhnt und kommt sogar zur nächsten Mathestunde wieder in den Unterricht…

1950, ein Jahr nach Gründung der DDR, vier Jahre nach Gründung der DEFA, wird der 21-jährige Heiner Carow in die Regieklasse des Defa-Nachwuchsstudios aufgenommen. Schon nach einem Jahr Ausbildung wechselt er ins Studio für populärwissenschaftliche Filme, wo unter seiner Regie bis 1956 kurze dokumentarische Arbeiten entstehen. Seine letzte dortige Produktion vor dem Wechsel ins Spielfilm-Studio, „Martins Tagebuch“, bedient sich bereits fiktionaler Mittel.

Das Porträt eines Jugendlichen, seiner Probleme mit den Eltern und der Schule, seiner Träume und Wünsche ist mit Laien der Zentralschule Burg Stargard unweit Neubrandenburgs gedreht worden. Spätestens nach den Festival-Auszeichnungen in Moskau und Leipzig ist das Defa-Studio für Spielfilme auf den jungen Regisseur aufmerksam geworden.

Die von den Kurzfilmtagen Oberhausen beantragte Freigabe beim Interministeriellen Ausschuss für Ost-West-Filmfragen, der von 1953 bis 1966 insgesamt dreitausend Filme begutachtete und zensierte, erfolgte zwar, nicht aber die Freigabe für eine TV-Ausstrahlung oder kommerzielle Auswertung.

Das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Angelegenheiten (BMG) sprach sich bei der Sitzung am 16. Juni 1959 für eine Ablehnung aus, „weil der Streifen den falschen Eindruck erwecke, daß sich der sowjetzonale Schulunterricht in seiner Zielsetzung nicht von der Tätigkeit mit den Schulen der Bundesrepublik unterscheide. Da aus dem Vorspann ersichtlich sei, daß der Film in Zusammenarbeit mit dem Ministerium der SBZ für Volksbildung gedreht wurde, propagiere der Streifen das dortige Regime. Die übrigen Ressorts waren demgegenüber der Ansicht, daß der Einfuhr dieses Films nicht widersprochen werden könne, da eine rechtliche Grundlage für die Verhinderung der Einfuhr dieses Streifens fehle.“

In einer zusätzlichen Stellungnahme des BMG heißt es: „Der Vertreter des BMG lehnte die gewerbliche Auswertung des Filmes [...] mit der Begründung ab, weil dieser Streifen den Eindruck entstehen lässt - eben weil dieser Film wesentliches weglässt - würden in den Schulen der SBZ die Kinder in vorbildlicher Zusammenarbeit mit Lehrern, Eltern und Pionieren lediglich zur Moral und Anstand erzogen, während man sie in Wirklichkeit in der Hauptsache zum Atheismus und zum Hass gegen die Bundesrepublik erzieht. Der entstehende einseitige Eindruck ist zu gefährlich, weil er, da der Film auch in Zusammenarbeit mit dem Ministerium der SBZ für Volksbildung und Erziehung gedreht wurde [...], den gezielten Versuch der SBZ darstellt, die Bevölkerung der Bundesrepublik zu täuschen und deren Behörden ins Unrecht zu setzen. Das Publikum, das diesen Defa-Film sieht, muss sich sagen, daß die dargestellte Erziehung zu Moral und Arbeitsamkeit etc. auch seinen Zielen entspricht, und muß damit den Schluß verbinden, [...] die sind ja garnicht so, wie uns immer erzählt wird. Hierin liegt die gefährliche verfassungsfeindliche Wirkung und daher muß der Defa-Film 'Martins Tagebuch' von einer Vorführung in der Bundesrepublik ausgeschlossen werden.“

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Director

Assistant director

Screenplay

Scenario

Commentary

Script editor

Director of photography

Editing

Consultant

Voice

Unit production manager

Location manager

Duration:
770 m, 28 min
Format:
35mm, 1:1,33
Video/Audio:
s/w, Ton
Screening:

Kinostart (DD): 13.07.1956

Titles

  • Originaltitel (DD) Martins Tagebuch
  • Arbeitstitel (DD) Schule und Elternhaus

Versions

Digitalisierte Fassung

Duration:
30 min
Format:
DCP, 1:1,375
Video/Audio:
s/w, Mono

Original

Duration:
770 m, 28 min
Format:
35mm, 1:1,33
Video/Audio:
s/w, Ton
Screening:

Kinostart (DD): 13.07.1956

Awards

Filmfestspiele der VI. Westfestspiele der Jugend und Studenten Moskau 1956
  • Silbermedaille
Kultur- und Dokumentarfilmwoche Leipzig 1956
  • Preis des Clubs der Filmschaffenden