I.N.R.I.

Deutschland 1923 Spielfilm

I.N.R.I. (Drehbericht)


Lichtbild-Bühne, Nr. 29b, 26.7.1923


Großtag im Staakener Atelier. Gelber Wüstensand bedeckt hügelig die weite Fläche, vorgelagert eine Anhöhe, umwölbt von dem tiefblauen Himmel, an dem Morgenwolken vorüberziehen. Und jetzt taucht die Sonne, ein glühender Ball, hinter einem Berge hervor. Ihre Strahlen treffen das weite Gefilde... und draußen, an die Tore der Halle, klatscht der Regen.

Auf einem Hügel steht Christus, segnend hebt er die Hände über die bunte Masse, die, malerisch gruppiert, zu ihm aufschaut. Ein welthistorisches Kapitel menschlicher Religionsgeschichte wird vor unseren Augen kinematographisch nachgebildet: die Bergpredigt. Und es ist etwas wie Ergriffenheit in dem weiten Raum, als die Lichtstrahlen die weißgekleidete Gestalt treffen, die erhöht über allen Menschen steht und segnend die Hände breitet...

Es ist vielerlei interessant an diesem "I. N. R. I."-Film, der heut vielleicht der am meisten besprochene deutsche Film ist. Es ist zunächst das technische Wagnis, einen Film, der im größten Umfange mit Natur- und Freiaufnahmen rechnet, ganz im Atelier zu drehen. Und es ist vielleicht kein kleineres Wagnis, hierfür die mächtigen Hallen Staakens auszusuchen, die für den regulären Filmbetrieb in diesem Umfange noch nicht in Anspruch genommen waren. Und die nach der Vollendung dieses Films zweifellos die größte Film-Aufnahmestätte der Welt sein werden. "Das gibt es nicht einmal in Kalifornien," hörten wir einen amerikanischen Journalisten sagen und es schien, als ob das die allgemeine Meinung der Damen und Herren war, die als Vertreter der Weltpresse am Mittwoch in Staaken erschienen waren.

Der Regisseur Robert Wiene, dessen "Caligari"-Film einer der ganz großen Welterfolge der deutschen Filmindustrie war, will mit diesem Film kein Experiment machen. Er geht auf große, klare Bilder aus, die den menschlichen Gehalt der Heiligen Schrift auf die klarste, erschütterndste, allgemein verständlichste Form bringen. Es ist überraschend, wie das Tief-Dramatische der biblischen Geschichte in einem an sich epischen Bild wie die Bergpredigt zum Ausdruck kommt, wie Wiene mit sicherer Hand den Vorgang so formt, daß der allen vertraute, seelische Gehalt sich in einer großen Massenbewegung, die unwillkürlich mitreißt, ausdrückt. Und Chmara, der Christus des Films, faßt seine Aufgabe mit einer inneren Hoheit und Keuschheit an, die an alte Meister erinnert und zugleich so tief menschlich ist, daß man das Christusbild seiner Jugend vor Augen zu sehen glaubt. Und Henny Porten ist die Gottesmutter, wie sie alte Kirchenbilder darstellen, hold, keusch, fromme Magd, mit einer gläubigen Hingabe und einer tiefen Leidensfähigkeit. Wie ein Gegenpol wirkt Asta Nielsens leidenschaftliche Maria von Magdala, die überlegen mit den Männern spielende Frau, umworben, angebetet und innerlich unberührt – und sie, die überlegene, kühle Frau von Welt, erlebt ihre tiefe Umkehr an dem stillen Mann, der sie nur tief und gütig anblickt. Und sie bekennt und wird zur Büßerin und geht den Leidensweg mit ihm...


Es ist ein gewaltiger künstlerischer und technischer Aufwand, mit dem an diesem Film gearbeitet wird. Hans Neumann und sein junges Unternehmen kann befriedigt sein von den Äußerungen, die von den Vertretern der großen angelsächsischen Presse gefallen sind. Und auch die deutsche Filmindustrie in ihrer Gesamtheit kann nur Nutzen davon haben, wenn die Filmindustrie der Welt erfährt, mit welchem Ernst, mit welchen Mitteln, mit welcher Hingabe in Deutschland am Film gearbeitet wird. Und den Eindruck haben wohl alle mitgenommen, die dieser Aufnahme des I. N. R. I.- Film beigewohnt haben – alle die Menschen im Atelier, Künstler und Techniker, die sich unter Neumanns Führung zu gemeinsamer Arbeit zusammengefunden haben, sind wie selten mit ganzem Herzen und ganzer Seele am Werk beschäftigt.

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