Rose Bernd

Deutschland 1919 Spielfilm

Der "Rose Bernd"-Film und seine Wirkung


Alfred Halm, Film-Kurier, Nr.135, 11.11.1919


Die Feinde des Kinos haben Argumente für ihre negierende Stellung gegen alle dramatische Darstellung durch das Lichtbild, denen sich der Theaterfilmer kaum verschließen kann. Fehlt doch der lebenden Photographie das biegsamste, feinste Mittel der Darstellung eines Seelenzustandes, der Ton, mangelt doch für den Ausdruck eines Gedanken das Wort. Solange bis junge Lichtspielkunst nicht zu erweisen vermochte, daß sie die Gestalten eines Dichters in ihren letzten Regungen wiederspiegeln könnte, war diese Gegnerschaft gewiß nicht unberechtigt. Aber dieser Beweis ist durch den "Rose Bernd"-Film erbracht worden. Alle Gegnerschaft verstummte, das Schicksal der schönsten schlesischen Bäuerin rührte und ergriff im Lichtbild fast tiefer als im Drama. – Denn im Film mußte ihr Geschick naiver und greiflicher dargestellt werden als durch die feine Psychologie des Wortdramas. – Es wurde eine "Rose Bernd" der Volksskunst. – Als mir die Messter-Film-Gesellschaft die Bearbeitung und Inszenierung des Hauptmannschen Dramas übertrug, wehrte ich mich gegen diese mir unlösbar scheinende Aufgabe. Wie sollte aus diesem Drama, das den Werdegang der Beziehung zwischen dem Gutsbesitzer Flamm und der Rosine Bernd nur ahnen ließ, wie sollte aus diesen Theaterszenen, die aufs Wort gestellt, durch ihre Innerlichkeit und Behutsamkeit in der Wahl ihrer Mittel sich gegen jede Verdeutlichung sträubten, eine sich in richtiger Zeitfolge aufrollende Handlung gebaut werden, welche pyschologisch motiviert ist und seelisch erschüttert? Mit Pietät suchte ich alle Andeutungen zusammen, die im Stücke zerstreut den inneren Werdegang des Schicksals der Rose Bernd zu erhellen suchen und baute sie sorgfältig und behutsam – um keinen Zug zu verfälschen – zu einer vorbereitenden Handlung zusammen, aus der sich die Hauptmannsche Rose Bernd entwickeln konnte. – Es scheint gelungen zu sein. Der Dichter war zufrieden, künstlerische Menschen haben die Ausgestaltung gelebt. Das Wichtigste aber – sie hat im Hauptmannschen Sinne stark gewirkt.

Aber auch die beste Disposition der Bilder hätte es nicht vermocht, Seelisches wiederzugeben, wenn nicht Darstellungskünstler tiefster Kraft am Werke gewesen wären. Filmkünstler, wie sie außer uns kein Volk besitzt – Henny Porten ist keine Kinopuppe, wie die vielen Divas und Divetten, sondern eine aus innerster Seele nachschaffende, die feinsten Seelenregungen oft nur durch ein Augenspiel zeichnende Filmschauspielerin. Ihr ernster Wille, mehr zu sein als eine Postkartenberühmtheit, ihr energisches, doch nicht zu beirrendes Streben, im Lichtbilde wirklich edelste Volkskunst zu bieten, wurde mit dieser Leistung reichlich belohnt. Ich habe es im Kino noch nie erlebt, daß die Zuschauer mitten im Laufe des Bildes Beifall klatschen, wie es bei der Porten hier der Fall war. Nicht umsonst sagte Gerhard Hauptmann, ihre Filmrose wäre den Leistungen der größten Darstellerinnen aus dem Sprechtheater, der Else Lehmann und Lucie Höflich ebenbürtig. Die großen Bühnenkünstler Jannings, Krauß, Ilka Grüning, Paul Bildt bewiesen, daß es eine Kinoschauspielkunst gibt, die in der Wahl der Mittel von der Theaterkunst zwar ganz verschieden ist, aber in der Größe der Wirkung dieser gleichwertig sein kann.

Nach dieser Kraftprobe hat das Lichtspiel als Volkskunst eine Verpflichtung zur Kunst übernommen. Es darf nicht mehr bloß als eine der größten deutschen Industrien gewertet werden. Der Krieg hat an den Wurzeln unseres Volkstums genagt. Alle Bände der Ordnung sind gelockert, alle ethischen Gebote von egoistischen Trieben zunichte gemacht. Jedes Mittel muß eingesetzt werden, um uns das frühere Gleichgewicht wieder zu schaffen. Jede Kraft muß unterdrückt werden, die es nachteilig belastet. Die frevelhafte Spekulation auf das Geschäft, welche die Aufklärungsfilme mit dem Volke treiben, muß an den Pranger. Es muß gesagt werden, daß die Hersteller dieses Films keine Berechtigung haben, diese Frivolitäten mit einem moralischen Mäntelchen zu bekleiden. Jenen von ihnen, die behaupten, in gutem Glauben gehandelt zu haben, muß dringend eingeschärft werden, daß ihnen der Mangel eigener Kultur nicht die geringste Berechtigung gibt, mit Giften an der Seele unseres Volkes herumzudoktern. Unsere Frauen und Mädchen müssen sich wieder schämen lernen vor solchen Dingen. Diese Filme, die in keinem anderen Lande der Welt geduldet werden, sind eine Schmach.

Den Gegnern des Lichtspiels ist aber durch den "Rose Bernd"-Film bewiesen, daß das Lichtspiel mit seinen noch unerschöpften Möglichkeiten die Entwicklung zu einer Volkskunst wohl hat. Sie sollen erwägen, daß trotz allen Gegendrucks das Kinotheater heute das beliebteste Vergnügen der breiten Masse geworden ist, und daß sich alle Gutmeinenden eigentlich vereinen müssten, um es zu einem Kulturmittel zu erheben, getreu dem Wahlspruch: "Dem Volke das Beste".

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