Alkohol

Deutschland 1919/1920 Spielfilm

Alkohol


Dr. J.B. (= Dr. J. Brandt), Film-Kurier, Nr. 2, 3.1.1920


Man vermutet einen Tendenzfilm und ist angenehm enttäuscht, einen Spielfilm zu sehen, der nur im Vorbeigehen die schädliche Wirkung des Alkohols erwähnt. Die Geschichte eines Findelkindes, dessen Mutter eine Seiltänzerin und spätere Säuferin, dessen Vater Bankbeamter, später Artist und zuletzt Mörder und Zuchthäusler war, und ebenso die daran schließende Autobiographie selbigen Vaters, der im sechsten Akt eines grausamen Flammentodes verstirbt, ist allerdings ein beherzter Ausflug ins Land blühender Kolportageromantik, aber die Sache hat einen unschätzbaren Vorzug: sie langweilt nicht. Sie ist – für denjenigen, der solche Art von Dramatik liebt, – mit starker Spannung durchsetzt und bringt eine Menge von Motiven handgreiflicher Sensationswirkung.

Das Manuskript, das der Autor, Alfred Lind, eine "Karnevals-Tragödie" nennt, wurde vom Regisseur E. A. Dupont übernommen, der es mit Geschick und Geschmack in Filmform brachte und mit allem Komfort der Neuzeit ausstattete. Wir sehen ein bunt bewegtes, abwechslungsreiches Faschingstreiben, ein reizendes Ballet, eine ganze Varietévorstellung mit Seiltänzen, English Girls, ikarischen Spielen, Zahnathletinnen, Akrobaten und schließlich einen effektvollen Ballhausbrand mit Feuerwehr und Sprungtuch. Die Panik freilich läßt in der Bewegung der Massen den hinreißenden Zug vermissen. Doch gibt es eine große Anzahl anderer ungemein wirkungsvoll gestellter und künstlerisch durchgearbeiteter Szenen, in denen die Leistung des Regisseurs deutlich erkennbar weit über den guten Durchschnitt hinausragt.

In der weiblichen Hauptrolle überrascht Hanni Weiße durch ihre verblüffende Wandlungsfähigkeit. Der Kontrast zwischen der temperamentvollen Jugendfrische der Artistin und dem Verfall der vom Leben zerbrochenen Säuferin ist ganz außerordentlich. Mit prächtiger schauspielerischer Charakterzeichnung tritt Jean Moreau, der geniale Kabarettier, ihr zur Seite. Einen Teil seiner Lebensgeschichte übernimmt Anton Rückert und trägt ihn zu bester Wirkung. Maria Zelenka hat nichts anderes zu tun, als mit Ausdrücken des Entsetzens zwei lange Geschichten anzuhören und dann in ein Sprungtuch abzuspringen; beides macht sie sehr nett. Die Ausstattung von Robert Dietrich und die Photographie von Ch. Paulus sind sehenswert.

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