Lola rennt

Deutschland 1997/1998 Spielfilm

Lola rennt



Hans Schifferle, epd Film, Nr. 8, August 1998


Das ist schon prächtig in Szene gesetzt, wie Franka Potente als Lola durch die Straßen von Berlin hetzt. Ihr rotgefärbtes Haar gleicht einer Flamme und setzt sich wunderbar ab von ihrem hellblauen Feinripp-Hemdchen, unter dem die Spitzen des BHs hervorlugen. Um ihren Nabel, der aufblitzt unter dem abgeschnittenen Unterhemd, rankt sich eine kunstvolle Tätowierung. Sie ist eine Pippi Langstrumpf des Techno, on the run zu pulsierender Musik. Die schönste Einstellung in ihrem kraftvollen Lauf: wenn sie quer über eine Kreuzung rennt und fast parallel zu ihr eine Hochbahn durchs Bild fährt. Eine Einstellung voll Dynamik und Harmonie.

Lola rennt zu Manni, ihrem Freund. Dieser Manni ist halt so wie alle Mannis sind: liebenswert-unbedarft, beinahe sinnlich-dumm. Moritz Bleibtreu, in dem noch viel Potential steckt, muß höllisch aufpassen, daß er nicht auf Manni-Rollen festgelegt wird. Manni jedenfalls ist ein kleiner Ganove und hat gerade einen Job als Geldkurier für Autoschieber vermasselt. Auf der Flucht vor Fahrscheinkontrolleuren hat er eine Plastiktüte mit 100.000 Mark in der U-Bahn liegenlassen. Ein Penner, gespielt von Joachim Król, hat sich gleich die Kohle gekrallt. Und Manni steht leer da. In 20 Minuten will Gangster Ronnie das Geld sehen. Der verzweifelte Manni hat Lola angerufen. Wenn sie in 20 Minuten nicht bei ihm ist mit 100.000 Mark, dann überfällt er den Supermarkt gegenüber der Telefonzelle. "Do not forsake me, oh my darling!" Lola ist längst losgerannt. Draußen vor der Telefonzelle steht eine blinde Frau, die doch etwas zu sehen scheint. Sie wird gespielt von Monika Bleibtreu, Moritz" Mutter im wirklichen Leben. Einer der schönen Cameo-Auftritte in Tykwers Film.

Lola rennt aus Liebe zu Manni. Und sie rennt gegen das Schicksal an, gegen alle Chancen. Wie Tom Hanks in "Forrest Gump", wie auch Ewan McGregor in "Trainspotting". Einer Asphalt-Amazone gleich rauscht sie an all den Großstadtmenschen vorbei. Da ist die verhärmte Hausfrau, der Fahrraddieb, der spießige Geschäftsmann. In Foto-Serien tippt Tykwer quasi im Vorbeilaufen mögliche Lebensgeschichten dieser Alltagsgesichter an. Der einzige Ausweg für all diese Leute unter Druck ist oft nur der Tod. Ein Internet der Schicksale entfaltet Tykwer, ein Panorama der Chancen. Er komprimiert die Netzwerk-Strukturen von Filmen wie Altmans "Short Cuts" oder Richard Linklaters "Slacker".

Zufall, Schicksal und eigener Wille vermischen sich im Lebensspiel der Großstadt. Einmal erklingt "What a Difference a Day Made", der alte Song über die Liebe und den Lauf der Zeit, der auch eine große Rolle spielt in Wong Kar-wais "Chungking Express". Doch Tykwer kann nicht die Poesie und die Schmerzlichkeit flüchtiger Begegnungen einfangen wie wir das von Wong Kar-wai her kennen. Sein Film gleicht eher einem Uhrwerk mit sichtbarer Mechanik als einer geheimnisvollen Arabeske wie der Tätowierung auf Lolas Bauch. In einer Spielbank-Szene zitiert Tykwer Hitchcock. Dort hängt das Bild einer Frau mit Haarknoten. Es erinnert an das magische Carlotta-Porträt in "Vertigo", in dem sich ein Labyrinth zu verbergen scheint. "Lola rennt" ist aber kein Trip durch ein Labyrinth, sondern die pure Achterbahnfahrt.

Das liegt schon daran, daß Tykwer eine allzu feste Form gewählt hat, die des Zeitschleifenfilms. Dreimal rennt nämlich Lola los, dreimal beginnt die Geschichte der 20 Minuten von vorne. Harold Ramis" "...Und täglich grüßt das Murmeltier", Jack Sholders "12.01" oder Louis Morneaus "Retroactive" sind Beispiele für dieses kleine Subgenre zwischen Science-fiction und absurder Komödie, das zwar dem postmodernen Erzählen von den Möglichkeiten entgegenkommt, aber immer Gefahr läuft, dem Gag oder dem Experiment verhaftet zu bleiben. Ramis hat es vielleicht als einziger geschafft, seinem Film Zauber und Herz einzuhauchen. Zwischen den einzelnen Episoden probiert es auch Tykwer direkt mit Emotion und Gefühl. Die Passagen, die ins Rot der Liebe gehüllt sind, bieten aber nur neues, lustiges Liebesgeplänkel zwischen Lola und Manni.

Tykwer setzt alle Mittel ein für sein Triptychon über die rothaarige Streetfighterin. Der Schnitt ist fetzig wie bei MTV oder in Werbespots. Man arbeitet mit Animation, Comic- und Kabarettelementen, Slapstick-Einfällen und dem Wechsel von Video- und Filmbildern zur Illustrierung unterschiedlicher Realitätsebenen. Video steht im großen und ganzen für den grauen Alltag der Großstadtmenschen, Film für den Ausbruchsversuch von Lola und Manni. Das alles ist gekonnt, ja brillant gemacht von Kameramann Frank Griebe, Cutterin Mathilde Bonnefoy und all den anderen. Allein die locations sind toll ausgewählt. Mit seinem rasanten Stil fegt Tykwer auch das aus unseren Köpfen, was wir in den letzten Jahren vom deutschen Kino gewohnt sind: die Spießigkeit der Filme von Rainer Kaufmann und Sönke Wortmann (nach "Der bewegte Mann"), aber auch das Neo-68er-Gefühl aus Filmen von Peter Sehr und Wollgang Becker. Und doch bleibt ein wenig Unbehagen. Manche Bilderfolgen wirken einfach wie verfilmte Storyboards: als käme das Zeitgefühl vom Reißbrett.

Man merkt dem Film an, daß Tykwer Danny Boyle und Wong Kar-wai fürs deutsche Kino adaptieren will, so wie sein letzter Film "Winterschläfer" daherkam, als hätten sich David Lynch und Eric Rohmer in den bayerischen Alpen ein Stelldichein gegeben. Das ist natürlich nicht verwerflich, aber Tykwer geht dabei die Unbekümmertheit eines Thomas Jahn ab, der Tarantino und Rodriguez nach Deutschland versetzte, oder die charmante Unverschämtheit, mit der Eckhart Schmidt vor 30 Jahren Antonioni-Flair in München verbreitete.

"Lola rennt" ist einfach zu konstruiert. Was beim ersten Blick noch als guter Einfall gelten mag, etwa die Fußballverweise, wird bei näherer Betrachtung zur Koketterie. Weil Fußball jetzt angesagt ist als Teil der Pop-Kultur, kann man schon mal Sepp Herberger neben T.S. Eliot zitieren. Für einen Lacher ist das allemal gut.

Tykwer vergißt über den Effekten und Spielereien auch manchmal seine Charaktere. Am interessantesten von all den Figuren, die Lola um Hilfe anläuft, ist immer noch ihr Vater, den Herbert Knaup spielt. Er ist ein Banker und scheint wirklich Probleme zu haben mit seiner versoffenen Frau und seiner schwangeren Geliebten. Den guten alten Armin Rhode, der einen Bank-Wachmann darstellt und darüber hinaus eine Art Conferencier für den ganzen Film, möchte man gern haben. Wenn er nur nicht immer knackige Einzeiler zu so etwas wie einer Chaos-Theorie des Lebens loslassen müßte. An Lola selbst stört schließlich, daß sie manchmal schreien muß wie Oskar Matzerath, auf daß die Glaser klirren.

Eine ganz kleine Rolle hat übrigens Beate Finckh. Sie ist die Kassiererin in der Spielbank. Diese Beate Finckh spielte die Hauptrolle in Vadim Glownas "Desperado City", einem Großstadt-Film, der authentisch vom Leben und Träumen in den achtziger Jahren erzählte und seine Liebesgeschichte vielleicht ein wenig ernster nahm als Lola rennt.

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