Das Gespenst

BR Deutschland 1982 Spielfilm

Das Gespenst


Hartmut Weber, Film-Beobachter, Nr. 7/8, April 1983


Für Aufsehen ist schon im Vorfeld gesorgt: Da glaubte die Freiwillige Selbstkontrolle zunächst, einen Film nicht freigeben zu können, weil der angeblich das religiöse Empfinden von Zuschauern verletzen und als Blasphemie wirken könnte. Und die FBW verweigerte ihm ihr Prädikat. Doch ausgerechnet die Jury der Evangelischen Filmarbeit nominiert eben diesen Streifen zum "Film des Monats" (April 1983). Die katholische Kirche wiederum zeigt sich von dieser Entscheidung deutlich verstimmt, verzichtet aber auf eine offizielle Stellungnahme, um dem für sie so ärgerlichen Opus nicht noch zusätzliche Publicity zu geben.

So ist Herbert Achternbusch also wieder einmal seinem Ruf treu geblieben, für einen Eklat ist er allemal gut. Und erneut hat er sich als Filmemacher bestätigt, an dem sich buchstäblich die Geister scheiden: da eine zahlenmäßig sicherlich nicht allzu große, aber wohl doch sehr qualifizierte echte "Gemeinde", dort die große Masse derer, die nichts verstehen und stattdessen vornehmlich Anstoß nehmen.

Ist "Das Gespenst" ein blasphemischer Film? Zunächst einmal ist es ein sehr anstrengender, zur Konzentration zwingender Film. In fünf Episoden mit endlos langen Einstellungen und monotonen Geräuschen wird, natürlich wieder in Schwarz-Weiß, die Geschichte des Jesus erzählt, der in einem Münchner Kloster vom Kruzifix steigt, was er erlebt mit der Oberin, mit zwei Polizisten, drei römischen Soldaten und etlichen anderen Personen mehr. Valentinisches mischt sich hier mit Kafkaeskem, wüste Bilder mit geradezu innigen Szenen, Derbes mit Philosophischem, Märchenhaftes mit aktueller Gesellschafts- und Kulturkritik.

Der Film zwingt zur persönlichen Stellungnahme, so können wohl auch die Eindrücke, die er hinterläßt, nur höchst subjektiver Art sein. Ist dieser Film blasphemisch? Selten begegnete mit, wenngleich verborgen und verdeckt von skurrilen, befremdlichen Bilden und Assoziationen, eine derart intensive Sympathie, im wahrsten Sinne des Wortes, also ein "Mitempfinden und Mitleiden" mit jener Gestalt des Mannes am Kreuz. Ihn auch als Narr, als Clown darzustellen, hat ja bekanntlich jahrtausendealte Tradition, in die sich Achternbusch hier wohl sehr bewußt hineinstellt. Selten ist so, abseits aller gewohnten Bahnen, sicherlich oft befremdlich, aber gleichzeitig wiederum höchst anregend, über das Verhältnis des Mannes am Kreuz zu seiner Kirche, das Verhältnis von Liebe (die Jesus ans Kreuzs brachte) und kirchlicher Ordnung ("Die Menschen wollten es nicht wissen, da haben wires ihnen eingebleut", sagt die Vertreterin der Kirche) nachgedacht worden wie in diesem Film. Und in alledem ist eine tiefe Sehnsucht nach Liebe und nach Erlösung zu spüren. Das "Amen" als letztes Bild dieses Films erscheint da als durchaus legitim.



Wie alle Achternbuschfilme hätte es auch dieser verdient, gründlich nachgelesen, um nicht zu sagen: nachmeditiert zu werden. Das flüchtige Medium Kino zeigt bei ihm immer wieder deutlich auch seine Grenzen. Sätze wie diese: "Gegenüber seiner Kirche (so wie sie heute begegnet) ist der Mann am Kreuz nur ein Gespenst" (daher der Filmtitel!) – Oder: "Wenn ihr mir einen zeigt, der nicht vom Kreuz herab will, will ich zu ihm hinauf" wären wohl gerade für die, die sich vielleicht vorschnell über diesen Streifen als vermeintliche Verunglimpfung ihres Glaubens ärgern möchten, mehr als nachdenkenswert. So gesehen ist die Entscheidung der Jury der Evangelischen Filmarbeit "Das Gespenst" zum Film des Monats zu nominieren, als mutig zu bezeichnen: Ohne Schielen auf den Massengeschmack hat man damit für ein unbequemes Werk votiert, dessen Gewicht und Wert sich ohne die angestrengte Bemühung geistiger Auseinandersetzung kaum erschließt.

"Das Gespenst" – Herbert Achternbuschs neuer Film – scheidet erneut die Geister. Wer freilich bereit ist, sich auf ihn, allen Unbequemlichkeiten und Befremdlichkeiten zum Trotz, einzulassen, kann, gerade aus christlicher Blickrichtung, daraus durchaus Anregung und Gewinn erzielen.


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