Lola

BR Deutschland 1981 Spielfilm

Lola in Rosa



Norbert Grob, Die Zeit, 28.08.1981

Große Worte spielen eine gewichtige Rolle in "Lola". Gelegentlich sind sie sehr grundsätzlich formuliert. Da wirken sie dann so bedeutsam wie der Dekor, die Farben oder der Blick der Kamera, Gelegentlich sind sie auch so formuliert, daß das Doppelte in ihnen hervorkommt. Da wird dann zum Erlebnis, wie wenig der Austausch von Worten zur Kommunikation taugt. Die Absichten und die Strategien, aber auch die Träume und Hoffnungen, die Schwächen und die Ängste stecken in allzu fremden Wörtern.

Freddy Quinn und Konrad Adenauer sind es, die das Spiel eröffnen. "Es kommt der Tag, da will man ...". Danach zitiert einer Rilke: "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. / Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben." Doch wenn man Rilke hört, sind die Bilder schon in Bewegung gekommen.

Der da zitiert, sitzt bei einer Frau, die ihre Haare ordnet. Sie fragt, warum Gedichte immer traurig seien. Woraufhin er antwortet, weil ein Gedicht aus der Seele komme und die Seele traurig sei, und weil sie mehr wisse als der Verstand, darum sei die Seele traurig. Große Worte spielen eine gewichtige Rolle, von Anfang an. Auch in der Garderobe einer Bordellsängerin.

Die Welt von "Lola" beginnt in dieser Garderobe. Die befindet sich in der bundesdeutschen Provinz, in Coburg, irgendwann um 1958. Die späten fünfziger Jahre: Zeitgeschichte und zugleich Geschichten aus der Zeit. In "Lola" sind das vor allem: Kinogeschichten. Nicht um Nachrichten aus den fünfziger Jahren geht es, nicht um die Bebilderung dessen, was einmal war und wie dies einmal war. Sondern um Geschichten fürs Kino. Es geht darum, wie eine Geschichte, die von der Atmosphäre einer ganz bestimmten Zeit lebt, von ihrer Mode wie von den Gefühlen und den Verhaltensweisen ihrer Menschen, auch im Kino noch lebendig bleibt. Wahrscheinlich ist das alles nicht, aber es ist plausibel, also Kino. Um Wahrscheinlichkeit hat sich das Kino sowieso nie gekümmert. Dafür wollte es seit jeher zu schöne, zu spannende, zu ergreifende Geschichten erzählen.

Was die Welt von "Lola" auszeichnet: Daß sie reduziert ist auf vier Figuren, um die sich alles dreht.

Da ist die Bordellsängerin Lola (Barbara Sukowa). Die ist der Star ihres Hauses, nicht zuletzt deshalb, weil sie stets weiß, was sie will. Als die anderen öfter von einem Mann reden, der kein Mann für sie sei, wird sie neugierig. Schließlich könnte sie ja eine Frau für ihn sein.


Da ist der Bauunternehmer Schuckert (Mario Adorf). Der hält sich an die Spielregeln, weil er es ist, der die Spielregeln bestimmt. Er versorgt alle mit Geld. Also versorgen ihn alle mit dem, worüber sie verfügen. Er beherrscht die Stadt, tagsüber, und amüsiert sich ansonsten ausgiebig mit Lola. Wofür er eine Menge zahlen muß. Nicht nur mit Geld.

Da ist der Baudezernent von Bohm (Armin Mueller-Stahl). Der kommt neu in die Stadt. Und einige haben Angst davor, daß er die bestehenden Arrangements zerschlagen könnte. Er ist ein Moralist, also: nicht korrupt. Er liebt ostasiatische Kunst und spielt Violine. Als er Lola kennenlernt, lebt er auf. Als er dann weiß, wie Lola lebt, verändert sich sein Leben. Aber mit Gefühlen umgehen: das hat man ihm nicht beigebracht.

Und da ist der städtische Angestellte Esslin (Matthias Fuchs). Der ist überall dabei, mahnend, klagend, anklagend. Auf der Straße demonstriert er gegen die Wiederbewaffnung. Im Amt agitiert er für den Kampf gegen Schuckert, den er einen "Raubvogel" unter "Krähen" nennt. Aber er ist "Humanist", Revolutionen lehnt er ab. Er studiert Bakunin. Für Lola zitiert er Rilke. Und in der Bordellkapelle spielt er das Schlagzeug. Während die anderen handeln, beobachtet er nur. Er hat die Macht des Wortes für sich. Aber diese Macht genügt noch nicht einmal in einer Provinzstadt.

In stets neuer Konstellation treffen die vier Protagonisten aufeinander. Jeder will etwas vom anderen. Doch das, was der eine vom anderen will, ist anders als das, was der andere gerade will. Und das Reden darüber, was sie voneinander wollen, ist noch einmal etwas anderes.

Beispielsweise will Schuckert Profite machen. Aber er will sich auch amüsieren. Also will er vom Baudezernenten eine Genehmigung, und von Lola das Vergnügen, Beispielsweise will von Bohm die Stadt wiederaufbauen, ordentlich. Und von einer Frau will er Liebe. Also will er ein ordnungsgemäßes Arrangement mit Schuckert und mit Lola die Ehe. Als er aber Lolas eigentliches Leben entdeckt, will er nur noch "vernichten". Beispielsweise will Lola gut leben. Aber gut leben, das heißt auch: respektiert leben. Also will sie von Schuckert möglichst viel Geld. Sie will aber auch mitmischen in der großen Kungelei. Als Esslin sie einmal fragt, ob sie denn in einer Welt leben wolle, die nur schlecht ist und verdorben und korrupt, antwortet sie: "Ja, das möchte ich gern. Mein Problem ist nur, daß sie mich nicht richtig mitmachen lassen." Und dann Esslin. Der will beispielsweise so viel, daß die Welt an ihm vorüberrauscht.


Wovon "Lola" auch handelt.: Daß die Trennung von Legalem und Illegalem, von Politischem und Geschäftlichem, von Moralischem und Unmoralischem ein Trugschluß ist, ein Schein, der für alle die da ist, die den Schein wollen und sich mit dem Schein zufrieden geben. Wo es vor allem um die Äußere, um das Sichtbare geht, da sind die Abgründe, die dahinter liegen, oft sehr tief. Doch diese Abgründe bleiben verborgen, wenn die Fassaden schon genügen. Wo es um das Äußere, das Sichtbare geht, zählt nur das Äußere, das Sichtbare. Auch weil die Differenz zwischen Schein und Anschein nur schwer auszumachen ist. Im öffentlichen Leben ist das nicht viel anders als im Film.

Eigentlich aber handelt "Lola" von Farben, von der Welt zwischen grellstem Rot und kältestem Blau. Von Farben, die jeder Wahrscheinlichkeit ins Gesicht spucken, die ums Kino schreien, kämpfen, als stünde es kurz vor dem Tod. "Uneingeschränktes Lob ... für den bewussten und systematischen Gebrauch der schreiendsten Farben, die man im Kino sehen kann" (Godard): Gesichter in Rot, Blau, Violett und Gelb; Lolas mütterliche Außenwelt in Rosa; Lolas Schlafzimmerwand, geschichtet in Violett, Gelb, Rot Grün; von Bohms Schlafzimmer in Violett; das Bordell im Wechsel von Blau, Rot, Violett und Gelb: zwischen grell und gedämpft. Die Dramaturgie der Farben, oft arbeitet sie aber auch ganz direkt, ordnet Gewissheiten zu, die sofort misstrauisch machen. So, wenn sie Figuren trennt, die sich gerade nahe sind.

Einmal, am Ende des ersten Treffens zwischen Lola und von Bohm, sitzen beide in ihrem roten Sport-Mercedes. Sie reden von Korruption, vom Außen und Innen der Menschen und davon, daß beides nichts miteinander zu tun hat. Während die Farben davon reden, wie getrennt sie voneinander sind. Ihr Gesicht ist in hellrotes, sein Gesicht dagegen in blaues Licht getaucht. Der Kamerablick erfasst sie zunächst im Wechsel, dann zusammen. Aber da werden sie noch immer durch die Farben getrennt. Erst als sie das Auto verlassen haben und endlich bereit sind, sich zu küssen, ist es der grelle Scheinwerfer eines Busses, der die beiden – auch farblich – vereint, im Gelb.

Ein anderes Mal, als Esslin Schuckerts Gewalt über Lola trotzen will, als er mit ihm um eine Stunde mit Lola streitet, sind beide in rotes Licht getaucht. Und nachdem Lola dann beide rausgeworfen und ihr Geld hinterhergeschmissen hat, verlässt Esslin wütend das Bordell. Er geht dabei durch alle Farben, die der Film ansonsten als Akzentuierung benutzt: durchs Rot, durchs Violett, durchs Geld und Schließlich durch das Grellste, was im Film vorkommt. Da schreit er dann Schuckert entgegen, er werde ihm die Maske vom Gesicht reißen.


"Lola" handelt auch von den Momenten, in denen alles in der Unschärfe versinkt. Es sind keine Blenden, die das Dargestellte ins Schwarz oder Weiß tauchen, keine Blenden, die das Geschehen poetisieren. Es sind einfach, was neu ist, Überblendungen in der extremsten Unschärfe. Das deutet an, wie fragmentarisch die einzelnen Episoden zu sehen sind. Die Episoden komponieren nur auf einen Zusammenhang hin, der immer wieder verschwimmt. Nichts ergibt mehr einen Zusammenhang. Und wenn doch, dann liegt er im Ungesagten.

Sehr deutlich wird dies, als Lola und von Bohm sich das zweite Mal treffen. Als sie die Kirche verlassen, wo sie miteinander singen konnten, gewährt der Kamerablick ihnen keinen Raum, in den hinein sie sich bewegen könnten. Zwischen der Enge vor der Kirche und der Enge im Heuschober liegt die Überblendung in der Unschärfe. Die ersetzt die Totale, die eigentlich zu reden hätte von den Wiesen und den Bäumen und den Bergen, die die beiden umgibt.

Stilisierung ist eben auch nur eine Form filmischer Darstellung. In vielen Filmen Rainer Werner Fassbinders artikulieren die betont künstlichen, die verfremdenden Elemente lediglich: Distanz. Für einen europäischen Filmemacher, der eher an Kunst denn ans Kino denkt, mag das wichtig sein. Doch sobald er ans Kino denkt, kehrt sich vieles um. In "Lola" spürt man, wie sehr es ums Kino geht.

Damit die filmische Form zum Kinostil wird, muß sie sich der alten Wege des Erzählkinos erinnern. Die kann sie dann aber auch wie wild variieren. "Lola" hat viel mit Hollywood zu tun. Die Welt von "Lola" endet in einem gutbürgerlichen Schlafzimmer. Doch dessen Bett korrigiert nur den Anschein. Das dezente Doppelbett, bespannt mit Weiß-Wäsche, ersetzt nur das rote Franzosenbett. Auch für die Bordellsängerin Lola gilt: die Macht von Geld und Körperlust reicht tiefer. Also bedankt sie sich noch am Hochzeitstag bei Schuckert. Daß er ihr den Baudezernenten verschafft hat. Daß er ihr das Bordell zum Geschenk gemacht hat. Und daß er ihrem angesehenen Ehemann verdeutlicht hat, unter welchen Bedingungen alles passiert. Sie bedankt sich mit dem einzigen, was sie hat: ihrem Körper.

© Norbert Grob

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