Der schöne Tag

Deutschland 2000/2001 Spielfilm

Der schöne Tag


Horst Peter Koll, film-dienst, Nr. 21, 10.10.2001

Der im Filmtitel annoncierte Tag ist vor allem schön, weil das Wetter es ist und die Straßen Berlins mit Licht und Wärme angereichert sind. Eine typisch sommerliche, behäbig-träge Friedfertigkeit liegt über der Großstadt, und das, was man in einer anderen Jahreszeit als störendes, gar aggressives urbanes Ambiente aus Beton und Glas empfinden würde, ist einer zumindest äußerlichen Leichtigkeit des Seins gewichen, bestimmt vom Flanieren im Park, vom geöffneten Wohnungsfenster, überhaupt von Durchlässigkeiten zwischen Innen und Außen, was sowohl auf Räume als auch auf Menschen zutrifft. Zum dritten Mal nach „Geschwister“ (1996) und „Dealer“ (1998, fd 33 601) beschreibt Thomas Arslan junge Menschen türkischer Herkunft in Berlin, wobei sich die mit „Der schöne Tag“ nun abgeschlossene Trilogie im Nachhinein als betont lose geknüpftes Konzept darstellt, das mannigfache Entwicklungen und Variationen ermöglicht, um reizvoll auf der thematischen wie formalen Klaviatur der schmalen Vorgabe zu spielen. Allen drei Filmen ist der hautnahe Blick der Kamera auf die Protagonisten gemein, die auf ihren langen, rastlosen Wegen durch die Stadt begleitet werden, wobei alle auf sehr unterschiedliche Weise mit Identitätsproblemen ringen. Dem Herumtreiben und Suchen der Jugendlichen in „Geschwister“ folgte der wirklichkeitsverlorene Can in „Dealer“, der die zum Alltag gewordene Illegalität zum Beruf machte. Seine Fremdbestimmtheit steht im krassen Gegensatz zur 21-jährigen Deniz in „Der schöne Tag“, die die Dinge in die Hand zu nehmen und sie beim Namen zu nennen pflegt, von sich und ihrer Umwelt etwas verlangt, weil es sonst keinen Sinn macht: „Wenn sich nichts bewegt, ist es zu Ende.“


24 Stunden lang begleitet die Kamera Deniz’ Wege, und sie bewegt sich (nicht nur äußerlich) extrem viel: Morgens verlässt sie heimlich und leise ihren noch schlafenden Freund, um in ihre eigene Wohnung zurückzukehren. Deniz ist Schauspielerin und jobbt als Synchronsprecherin; eine stille, äußerlich beherrscht wirkende junge Frau, deren Gefühle sich nur vermittelt ihren Weg bahnen. „Nicht so heftig“, erhält sie eine Regieanweisung im Synchronstudio, wo sie an einer Szene aus Eric Rohmers „Sommer“ (fd 31 959) arbeitet, in der es um das angespannte Verhältnis zwischen den Geschlechtern geht. Ein anderes Mal streicht sie sich beiläufig über die Augen, es könnte eine Träne sein, die sie beiseite wischt. An diesem „schönen“ Tag wird sich Deniz von ihrem Freund, den sie nicht mehr liebt und von dessen Haltlosigkeit sie enttäuscht ist, trennen; sie wird ihre Mutter besuchen, mit der sie über Lebenserwartungen und Glück spricht; sie wird auf U-Bahn-Stationen mehrmals einem jungen Mann begegnen und ihn schließlich als Diego aus Lissabon kennen lernen, der seit 20 Jahren in Berlin lebt; die beiden werden durch einen Park flanieren, miteinander reden und sich austauschen, bis Deniz einfällt, dass sie sich mit ihrer Schwester verabredet hat, die auf der Durchreise für wenige Stunden in Berlin ist. Am Abend trifft sich Deniz erneut mit Diego; doch was womöglich der Beginn einer neuen Beziehung werden könnte, bricht in sich zusammen: Diego hat eine feste Freundin, eine Malerin, die am nächsten Tag nach einem einjährigen US-Aufenthalt nach Berlin zurück kommt. In den frühen Morgenstunden trennen sich die beiden, Deniz kehrt in ihre Wohnung zurück.


Dramaturgisch extrem zurückgenommen, geradezu undramatisch und unaufgeregt, aber nur scheinbar emotionslos entwickelt sich diese Chronik eines Tages, die nie als dokumentarisch missverstanden werden darf. Dafür verdichtet Arslan die Reihung der alltäglichen Ereignisse viel zu deutlich und viel zu virtuos, wenn er etwa für einen kurzen Moment (nach Deniz’ Trennung von ihrem Freund) ein einziges Mal Filmmusik einsetzt, wenn er die Begegnung zwischen Deniz und Diego als spannende „urbane Verfolgungsjagd“ inszeniert, die sich durch Blicke und unausgesprochene Neugier strukturiert, oder wenn er am frühen Morgen des neuen Tages ein wunderschönes melancholisches Bild komponiert: Deniz ist in ihre Wohnung zurückkehrt, draußen graut der Morgen, das warme Licht der Zimmerlampe ist bereits ohne Funktion und strahlt vor allem auch nicht Deniz an, die nur in ihren scherenschnittartigen Umrissen zu erkennen ist. Es ist faszinierend, wie es Arslan gelingt, bei aller formalen Strenge und vermeintlichen Distanz innere Anteilnahme und Spannung aufzubauen, Nähe und Intimität zu schaffen. Deniz ist in ihrer physischen wie seelischen Befindlichkeit stets in hohem Maße präsent; gerne möchte man an ihrem Leben spontan Anteil nehmen und mit ihr in einen Dialog über Liebe und Hoffnung, Glück und Daseinsperspektiven eintreten – ein berührender, ebenso rigoroser wie optimistischer Gegenentwurf zur Kälte und Verfahrenheit in „Dealer“. Nur manchmal verplaudert sich Arslan etwas zu sehr, wenn etwa ein zufälliges Kneipengespräch zum Diskurs über die Geschichte der Liebe und Gefühle gerinnt; und doch wird einem beim mehrfachen Sehen auch dieses Gespräch auf seltsame, berührende Weise wichtig – wie der ganze Film, der fern jeglicher Konvention von einer großen Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit geprägt ist.

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