Verlobung in Hollerbusch

DDR 1979 TV-Film

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Heinz17herne
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„Mein Kinderland und Heimatdorf“ stellt der Ich-Erzähler Ewald Wagemühl (Bernd Stempel) Hullerbusch vor und verweist darauf, dass die nun folgende Geschichte „kaderaktenmäßig nicht zu verantworten“ sei. Denn zunächst führt die Geschichte nach Westdeutschland, genauer gesagt nach Boomgaden in der Wesermarsch. Und weil sie im Jahr 1960 spielt, also kurz vor der Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls, überwindet sie mehrfach die noch offene Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten.

Als der westdeutsche Großbauer Walter Wagemühl (Erwin Geschonneck) erfährt, dass er an Krebs erkrankt ist und es mit ihm bald zu Ende gehen wird, erinnert er sich an seinen patenten Neffen Ewald, den Sohn seines in der DDR lebenden Bruders und zwangskollektivierten Landwirts Ernst Wagemühl (naturgemäß ebenfalls Erwin Geschonneck). Der war in den 1950er Jahren von Zuhause ausgerissen und für längere Zeit bei seinem West-Onkel untergetaucht. Walter erinnert sich auch daran, dass sich Ewald von kleinauf sehr gut mit seiner Adoptivtochter Catharina (Hildegard Walter) verstanden hat. „Der Hof braucht einen Mann“ ist Walter sicher und umreißt seine Kriterien für ihren Zukünftigen: „Vermögen ist nicht nötig, ich hab‘ auch ohne geheiratet. Er sollte mit den Leuten umgehen können – und am besten studiert haben.“

Um sein immerhin einhundert Hektar umfassendes Erbe in treue, also familiäre Hände übergeben zu können, schickt er Catharina in den Osten mit dem Ziel, Ewald ins kapitalistische Deutschland locken, idealerweise als Ehegatten. Doch „Jugendfreund Waldi“ hat gerade andere Prioritäten: Sein Landwirtschafts-Studium an der Ost-Berliner Humboldt-Universität steht kurz vor dem Abschluss. Und andere Sorgen: Auf der einen Seite will ihn sein Professor Rudi Schulz (Volkmar Kleinert) als Assistenten an den Lehrstuhl verpflichten, um ihn zumindest für die nächsten zwei, drei Jahre der Wissenschaft zu erhalten. Mit erklärter Unterstützung des Vertreters des Ministeriums (Wolfgang Greese) in der Hochschulkommission. Auf der anderen Seite ist er beim einflussreichen Sekretär der SED-Kreisleitung Berlin, Max Korn (Jaroslav Moucka, dt. Stimme: Kurt Böwe), im Wort, die Leitung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) in Hullerbusch als Nachfolger des amtsmüden Gottlieb Pröfrock (Berthold Schulze) zu übernehmen. Korn hatte erst an der Arbeiter- und Bauernfakultät und dann an der Universität seine schützende Hand über den Jugendfreund mit äußerst verdächtigem verwandtschaftlichem Westkontakt gehalten.

Zwei Seiten jeweils mit dem SED-Parteiabzeichen am Revers zerren an Ewald – und nun steht in der Disko auch noch eine attraktive Kommilitonin (Corinna Harfouch) vor ihm, die ihn eher für einen Medizinstudenten hält: „Wie’n Bauer sehen Sie aber nicht aus.“ Als ob er sich in der Hauptstadt dafür entschuldigen müsste, aus der Provinz zu kommen und dorthin zurückkehren zu wollen. Und nun auch noch das: Wie vom anderen Stern taucht Catharina plötzlich im Club auf – und wie eine Bäuerin sieht diese chice und sogleich allseits Aufsehen erregende junge Frau wirklich nicht aus. Es gelingt ihr, Ewald nicht nur für zwei Nächte in ein West-Berliner Hotel-Doppelzimmer zu locken, sondern mit ihm auch in Tempelhof ein PanAm-Flugzeug nach Hamburg zu besteigen: Onkel Walter ist ganz begeistert von der Entwicklung ganz nach seinem Geschmack. Und kutschiert den Wunsch-Schwiegersohn sogleich in seinem Mercedes durch seinen weitläufigen Landbesitz.

Doch Ewald will nicht im Westen leben, und Catharina, der eine Edelpelzfarm vorschwebt, keine Bäuerin werden – schon gar keine im sozialistischen Deutschland: Beide vereinbaren, um Zeit zu gewinnen, eine dreimonatige Bedenkfrist, dann Verlobung in Hullerbusch und im Herbst Hochzeit im Boomgaden. Als Jugendfreund Waldi wieder daheim ist, geht das Gezerre um seine Zukunft weiter: Max Korn legt extra für ihn das Programm „Hochschulkader in die Produktion“ auf, um ihn in Hullerbusch halten zu können. Dort ist Ewalds Vater Ernst, der zusammen mit Oma Busse (Gertrud Brendler) auf seinem Hof lebt und sich der Genossenschaft verweigert, wo eben es möglich ist, ja sogar Pflanzkartoffeln unterschlägt, glücklich mit der Entwicklung seines Sohnes. Als wie verabredet Verlobung gefeiert wird mit Ringen und einem großzügigen Geschenk, Ernst hat für das Paar ein Häuschen im Grünen in Berlin-Biesdorf erworben, scheint alles geregelt zu sein für eine gemeinsame Zukunft. Um letzte Dinge zu regeln, reist Ernst zu Walter in den Westen und besucht seinen Bruder erstmals seit vielen Jahren – in der Klinik. Er würde der staatlich verordneten kollektiven Landwirtschaft nur allzu gerne den Rücken kehren – und Walter baut noch eine besondere Klausel in sein Testament ein…

„Verlobung in Hullerbusch“, die am 30. Oktober 1979 erstausgestrahlte Adaption des gleichnamigen Romans von Joachim Wohlgemuth, rührt an ein Tabu: Der erst noch bevorstehende Mauerbau wird natürlich mit keinem Wort erwähnt, ist aber in den Köpfen aller Fernsehzuschauer des Jahres 1979 präsent. Das ist möglich, weil die sehr politische Dorfgeschichte von Szenarist Klaus Jörn und Regisseur Klaus Gendries neben einigen ironisch-satirischen Sidekicks, zu denen Frank Schenk als den „Bitterfelder Weg“ beschreitender Schriftsteller Gerd Schneider gehört, einen klaren politisch-ideologischen Standpunkt vertritt. Die Zukunft gehört bei aller Materialknappheit, bei allem bürokratischen Kleingeist, bei aller dem Misstrauen gegen das eigene Volk geschuldeter Regulierung und Überwachung (Transportpolizei in der Berliner S-Bahn) dem Sozialismus – und damit Ewald Wagemühl. Der am Ende zwar auf Catharina verzichten muss, aber als frisch Diplomierter von der Kreisbauernkonferenz zum neuen LPG-Vorsitzenden gewählt und sogleich im Dorf gefordert wird.

Sein in alten Denkmustern verhafteter Vater Ernst dagegen, der den Hof seines verstorbenen Bruders in Dithmarschen übernimmt, wo die Haushälterin Selma (Elli Jessen-Somann) bisher ohne Tariflohn arbeiten musste, kommt mit den Anforderungen einer kapitalistisch-ausbeuterischen Wirtschaft, in der sich obskure Vertreter die Klinke in die Hand geben, nicht zurecht. So lässt er sich von einem Möbelverkäufer (Alfred Struwe) die von einem Hamburger Antiquitätenhändler auf 25.000 Mark geschätzte Einrichtung für 1.000 Mark Inzahlungnahme abschwatzen. Und Oma Busse, die mit ihm gegangen ist in der Annahme, Enkel Ewald würde nachkommen, zieht es sogleich wieder zurück nach Hullerbusch.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Titel

  • Originaltitel (DD) Verlobung in Hollerbusch

Fassungen

Original

Länge:
2533 m, 89 min
Format:
35mm, 1:1.33
Bild/Ton:
Orwocolor
Aufführung:

Uraufführung (DD): 30.10.1979, DDR-TV