Nachtspiele

DDR 1978/1979 Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Der Architekt Bruno Paul ist auf einer seiner Dienstreisen nicht das erste Mal im Interhotel Potsdam abgestiegen. Der Blick aus dem Außenfahrstuhl über die idyllische Havellandschaft ist ihm vertraut. Aus dem Fenster seines Zimmers im 12. Stock sieht er die Nicolaikirche, das barocke Palais des Alten Rathauses – und die Großbaustelle rund um den Alten Markt. „Wer hat denn schon das Glück, den Anteil an seiner Arbeit wirklich zu sehen“ wird er später einem jungen Rowdy, der sich über die Plattenbau-Wohnung seiner alleinerziehenden Mutter mokiert, antworten. Herr Paul steht zu seinem als Berufung empfundenen Beruf. Als er entspannt eine Zigarette raucht im Foyer mit der großen Buntglasscheibe, fällt ihm eine elegante Frau auf, welche ihn anspricht: Er habe vor langer Zeit einmal Tischtennis mit ihrem Mann Walter gespielt.

Irma Sbrchylinska hat ein Problem: ihr Skoda ist liegengeblieben. Die Werkstatt braucht mindestens zwei Tage – und sie hat kein Zimmer für die Nacht. Sie würde, der Kinder wegen, mit dem Nachtzug noch nach Hause fahren. Aber irgendwie findet die technische Zeichnerin, die – untypisch für die DDR – der Kinder wegen ihren Beruf aufgab, Brunos Gesellschaft so anregend, dass sie an seiner Seite bleibt, erst im Restaurant bei Fisch und einer Flasche Wein, später in der Bar – und nachts an der frischen Luft am Hafen. Wo Bruno einen Jungen, der Scheiben eines Gebäudes einschlägt, zur Rede stellt und ihm den Kopf wäscht. Immer wieder wird Irma von der Rezeptionistin vertröstet: es könnte vielleicht doch noch ein Bett zu haben sein.

Parallel sind zwei junge Leute im Hotel eingetroffen, welche die Empfangssekretärin (Brigitte Scholz) nicht gleich als verheiratetes Paar eingeschätzt hätte, so unsicher gibt sich insbesondere die sehr mädchenhafte Gattin. Schon dass eine Zimmerfrau mit ihnen im Fahrstuhl mitfährt, ist ihr peinlich. „Wir sind allein – und das alles zu unserem ersten Hochzeitstag“ ist Martin begeistert über das Alleinsein zu zweit in einem großzügigen Zimmer in der neunten Etage – internationaler Standard mit Minibar und Fernseher. Beide warten noch auf eine eigene Wohnung, leben noch bei den Eltern. Weshalb sie sich gehemmt vor den Fernseher setzt, bis er beim „Sandmännchen“ abschaltet – aber auch das Licht ganz ausschalten muss. Dabei haben beide bereits ein Kind zusammen!

Als eine ganze Busladung junger polnischer Touristen das Interhotel entert, wird Irma klar, dass es nicht mehr klappen wird mit einem eigenen Zimmer. Aus der Liebesheirat ist nach 15-jähriger Ehe grauer Alltag geworden, sie kann sich mit Bruno endlich einmal über Gott und die Welt austauschen – und sich mit seiner „Dialektik für den Hausgebrauch“ genannten Lebensphilosophie durchaus anfreunden: „So ein Gespräch tut mir gut. Was hat man denn schon zu denken.“ Fortsetzung bei Live-Musik und Tanz in der Bar im 17. Stock.

Wo die beiden „Alten“ auf das von einem spätabendlichen Spaziergang durch Potsdam ins Hotel zurückgekehrte junge Paar treffen. „War’s schön?“ hatte Martin gefragt und konnte mit der Antwort nicht zufrieden sein: „Ich weiß nicht. Ist das denn überhaupt wichtig?“ Dann wurde wieder der Fernseher eingeschaltet, außer Sex wissen die jungen Leute offenbar nichts miteinander anzufangen. Eine über das TV-Gerät geworfene Bettdecke sorgt für einen veritablen Zimmerbrand – und das bis zur Schadensbeseitigung verordnete „Exil“ in der Dachgeschoss-Bar. Martin erzählt, dass er Tischler gelernt hat und nun auf dem Bau arbeitet. Und bekommt einen Hustenanfall, als die „Alten“ sich outen, dass sie verheiratet sind – aber nicht miteinander.

Während Bruno mehr schlecht als recht auf zwei Sesseln nächtigt, sein Bett darf Irma nutzen, bemalen die beiden jungen Leute die Wand ihres Zimmers, was den Hoteldirektor (Wilfried Pucher) am anderen Morgen zum Fotoapparat greifen lässt: „Die Sache ist einmalig!“ Er nimmts mit Humor, zumal Martin ihm versichert, den Schaden umgehend mit seiner Brigade zu beseitigen. Der Alltag hat auch Herrn Paul und Frau Sbrchylinska wieder – beide scheiden im besten Einvernehmen. Und die Empfangssekretärin rechnet das weit nach Mitternacht doch noch frei gebliebene Zimmer für Letztere ordnungsgemäß ab…

„Nachtspiele“, uraufgeführt am 22. Februar 1979 im Berliner Colosseum und erstausgestrahlt am 18. April 1980 durch das Fernsehen der DDR, entstand zum zehnjährigen Jubiläum des Interhotels Potsdam. Es war 1969 eröffnet worden als „sozialistische Stadtkrone“, wie sie Staatsrats-Vorsitzender Walter Ulbricht bei der Vorstellung einer neuen Planung für Potsdams historische Mitte anstelle des Stadtschlosses gefordert hatte. Werner Bergmann, eigentlich als Kameramann bei der Defa unter Vertrag, erzählt binnen gut achtzig Minuten nicht nur die sich kreuzende Geschichte zweier auch altersmäßig höchst ungleicher Paare, sondern mehrere kleine Nebengeschichten aus dem Alltag eines Hotels. Etwa die Lebenshilfe eines Portiers (Fred Mahr) über die Telefonkabine: Er rät der warum auch immer namenlosen Mädchenfrau, ihrem Gatten Martin zu folgen. Oder die rasche Beseitigung einer Havarie des Fahrstuhls, der ausgerechnet im 13. Stock steckenbleibt: „Sind wir im Himmel?“ (Szene mit Fred Mahr als Himmelschef). Am Ende besteigt der Direktor mit einem Elektriker das Hoteldach, weil die Beleuchtung eines Buchstabens des Interhotel-Schriftzuges ausgetauscht werden muss.

Pitt Herrmann


Credits

Alle Credits

Länge:
2244 m, 82 min
Format:
35mm, 1:1,66
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 22.02.1979, Berlin, Colosseum

Titel

  • Originaltitel (DD) Nachtspiele

Fassungen

Original

Länge:
2244 m, 82 min
Format:
35mm, 1:1,66
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 22.02.1979, Berlin, Colosseum