Heimatland

Schweiz Deutschland 2015 Spielfilm

Inhalt

Es ist Herbst, und es wird kalt in der Schweiz. Doch was sich am Himmel zusammenbraut, ist mehr als das vertraute, ungemütliche Herbstwetter. Plötzlich schwebt eine unerklärbare und furchteinflößende dunkle Wolke über dem Land. Die Experten rätseln, was es mit diesem Phänomen auf sich hat, nur in einem Punkt sind sich alle einig: Die Wolke wächst weiter, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich entladen wird. Und die Folgen werden verheerend sein.

In der Bevölkerung macht sich Unruhe breit, es droht der Ausnahmezustand. Die Regale in den Supermärkten sind leergekauft, die Wasservorräte gehen langsam zur Neige. Die Stimmung in der Gesellschaft droht zu kippen, und jeder findet seinen Weg, mit dem drohenden Unheil umzugehen. Während sich einige angsterfüllt in ihren Wohnungen verbarrikadieren, erwarten andere freudig den Weltuntergang. Doch der Sturm hat auch etwas Verbindendes. Er legt die wahren Bedürfnisse, Ängste und Hoffnungen der Menschen frei. Und während es draußen noch windstill ist, hängt die Wolke wie ein Damoklesschwert über dem Alpenstaat.

Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis 2016

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Felsenlandschaft mit Bergsee in der alpinen Idylle, ein Reh lässt sich blicken. Schnitt. Rotlichtmilieu. Sex im Puff. Und dann das: Plötzlich steht eine gewaltige Wolke über der Schweiz. Ihre Herkunft ist den Meteorologen ein Rätsel, sie können lediglich ihr kontinuierliches Wachstum feststellen. Es scheint sich ein ungeheurer Sturm zusammenzubrauen. Zeit für Gurus aller Art, der Apokalypse mit Partys zu harren. Zeit für Bürgerwehren und andere nationalistische Lautsprecher, die Bevölkerung aufzuhetzen. Die andererseits in den Kirchen ihre Frömmigkeit wiederentdeckt. Auf der einen Seite macht sich Fatalismus breit, auf der anderen Seite herrscht Gewalt, sind Plünderungen auf der Tagesordnung. Partielle Stromausfälle häufen sich mit fatalen Auswirkungen auf die Landwirtschaft wie auf die großen Städte. Der Staat öffnet die Reduit-Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg.

„Heimatland“ nutzt diesen Zustand der allgemeinen Verunsicherung für eine aktuelle Bestandsaufnahme der Schweiz: Zehn junge Autorenfilmer aus der West- und Deutschschweiz sind an diesem Projekt, dessen Gesamtdramaturgie in den Händen von Michael Krummenacher liegt, beteiligt. Sie beleuchten Menschen, Mentalitäten und Milieus des Landes und verweben diese persönlichen Episoden zu einer großen, gemeinsamen Geschichte. Die Menschen reagieren ganz unterschiedlich auf den drohenden Sturm: Einige ignorieren ihn, andere verbarrikadieren sich, Dritte feiern den Weltuntergang. Doch der Sturm hat etwas Verbindendes: Er legt die wahren Bedürfnisse, Ängste und Hoffnungen frei und enthüllt Schritt für Schritt die Folgen von politischer und gesellschaftlicher Isolation.

Die neun kunstvoll miteinander verzahnten Episoden beginnen am Flughafen. Der Taxifahrer Goran hat seine letzte Fahrt vor Dienstschluss, weshalb er mit seiner Gattin Sascha spricht. Sie macht ihm Vorwürfe, weil er sich für seine vierköpfige Familie immer noch nicht um eine größere Wohnung bemüht hat. Der Fahrgast, ein zynischer Schweizer Geschäftsmann namens Peter Casal, meint, ihm gute Ratschläge geben zu müssen. Sein großzügiges Trinkgeld lehnt Goran ab: Er wolle keine Almosen.

Die Polizistin Sandra gibt beim Feierabendkegeln im Kollegenkreis keine gute Figur ab. Sie hat nicht nur daheim Probleme mit ihrer dominanten Mutter, sondern auch im Dienst nach einem Vorfall, bei dem ein Nigerianer niedergeschossen wurde und der sie in Alpträumen verfolgt. Sandra wird bei einem Einsatz gegen Plünderer versehentlich in einem Keller eingeschlossen – und sogleich wieder von der Vergangenheit eingeholt. Als am Ende der Sturm losbricht, erschießt sie sich.

In der Chefetage eines Versicherungskonzerns tagt der Krisenstab und die Chefsekretärin Eveline Hassler hat alle Hände voll zu tun, nervenberuhigende Getränke auszugeben. Adrian Albrecht soll mit dem Bundesrat verhandeln, damit es im Katastrophenfall staatliche Unterstützung gibt. Der nimmt die noch unbestimmte Bedrohung aus der Luft gelassen: In Japan habe er einmal eine Woche im Hotel zubringen müssen, weil ein Taifun über dem Land gewütet habe.

Jugendliche Fans des Fußballklubs Young Boys Bern verabreden sich im Zug zu gemeinsamen publicityträchtigen Aktionen beim nächsten Heimspiel. Kevin bringt ein Bengalo mit, aber die Partie muss nach einem Stromausfall abgebrochen werden. Kevin will sich dennoch seinen Spaß nicht nehmen lassen – und wird verhaftet.

Alice, die Tochter der Versicherungs-Chefsekretärin Eveline Hassler, die aufgrund der Dauerkonferenz in der Chefetage nicht nach Hause kommen kann, ist eine kleine Ballettratte. Auf der einen Seite ist sie selbst für zwanzig Franken nicht bereit, ein Schimpfwort in den Mund zu nehmen. Auf der anderen Seite kann sie ungemein bockig werden und aus Wut über ihre ältere Schwester Nina mehrere Kristallgläser zerdeppern.

Die drohende Apokalypse, für jeden am Himmel über der Schweiz sichtbar, führt zu panischen Hamsterkäufen und leert die Regale der Geschäfte in Windeseile. Der Supermarkt-Filialleiter Eric lässt seinen Laden von Sicherheitskräften räumen, zeigt sich aber überfordert bei einem renitenten Kunden, der ohne Mineralwasser das Geschäft nicht verlassen will. Dabei ist keine einzige Flasche mehr auf Lager. Mit Fußtritten befördert Eric den Unbelehrbaren nach draußen, nicht bedenkend, dass ihn dieses Ausrasten, von der Überwachungskamera eingefangen, den Job kostet. Das weitere Geschehen draußen verfolgt er auf dem Bildschirm des kleinen Personalraumes zusammen mit dem Hausmeister Gerald (Daniel Rupp).

Die vereinsamte Rentnerin Rosi Meier spricht mit ihrem Vogel im Käfig wie mit einem Menschen. Als das Tier kurz vor Ausbruch des Sturms stirbt, bleibt sie ganz cool. Sie verzichtet auf das Angebot des Nachbarn, sie mit nach Deutschland zu nehmen, obwohl es inzwischen weder Wasser noch Strom gibt, und setzt sich am offenen Fenster dem immer stärker werdenden Wind aus.

Silvan hat vergessen, Wasser einzukaufen und geht noch 'mal los. Mit anderen zusammen schlägt er die Scheibe eines bereits geschlossenen Geschäftes ein und bedient sich. Was ihm seine Freundin Livie, die eben noch mit ihm Sex haben wollte statt sich im Reduit-Bunker in Sicherheit zu bringen, so übel nimmt, dass sie ihn quasi vor die Tür setzt. Silvan verbringt die Nacht auf einer skurril-karnevalistischen Untergrund-Party.

Der nationalkonservative Politiker Gwerder (Stephan Gramlich) hält die Zeit für gekommen, alle Schranken der Zurückhaltung fallen zu lassen und gegen das „Ausländerpack" zu wettern. Er ermutigt junge Leute, eine Bürgerwehr zu bilden, die eine Hetz auf vermeintliche „Kanaken“ veranstaltet und dabei eine Schweizer Familie auf dem Gewissen hat.

Als sich der Sturm im wahren Wortsinn über der Schweiz zusammenbraut, setzt ein Massenexodus nach Deutschland, Italien und Frankreich ein. Die Europäische Union sieht sich gezwungen, ihre Grenzen für Nicht-EU-Bürger zu schließen. Der Taxifahrer Goran und seine Familie sind im Besitz kroatischer Pässe und dürfen passieren, der Eidgenosse Peter Casal dagegen nicht...

„Heimatland“ hält nicht nur den in ihrer Alpenfestungs-Isolation saturierten Schweizern, sondern allen Europäern einen Spiegel vor. Dabei nehmen die Jungregisseure kein Blatt vor den Mund. Sie schließen damit einerseits an die „Das Boot ist voll“-Bewältigungsstreifen der Nachkriegszeit an und richten den Blick andererseits auf ökologisch-politische Themen der Gegenwart. Nicht zuletzt kann man „Heimatland“, obwohl weit vorher konzipiert und gedreht, auch als einen Kommentar zur globalen Migrationsbewegung in Richtung Mitteleuropa sehen, von denen die Schweiz bisher freilich verschont worden ist. Was ja nicht immer so bleiben muss – und darf.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Dramaturgie

Visuelle Effekte

Licht

Szenenbild

Maske

Kostüme

Schnitt

Casting

Produktionsfirma

Ausführender Produzent

Länge:
99 min
Format:
DCP, 16:9
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Aufführung:

Uraufführung: August 2015, Locarno, IFF;
Erstaufführung (DE): 20.01.2016, Saarbrücken, Max-Ophüls-Preis - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 28.07.2016

Titel

  • Originaltitel (DE) Heimatland
  • Weiterer Titel L'amère Patrie

Fassungen

Original

Länge:
99 min
Format:
DCP, 16:9
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Aufführung:

Uraufführung: August 2015, Locarno, IFF;
Erstaufführung (DE): 20.01.2016, Saarbrücken, Max-Ophüls-Preis - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 28.07.2016

Auszeichnungen

Max-Ophüls-Preis 2016
  • Preis für den gesellschaftlich relevanten Film
Zürcher Filmpreis 2015
  • Zürcher Filmpreis
Berner Filmpreis 2015
  • Berner Filmopreis
  • Bester Spielfilm