Rimini

Österreich Frankreich Deutschland Italien 2017-2022 Spielfilm

Inhalt

Der Tod seiner Mutter führt Richie Bravo aus der Wahlheimat Italien zurück ins niederösterreichische Zimmer seiner Jugend, wo Charlton Hestons Bizeps glänzt und Winnetou noch lebt. Mit dem "piccolo fratello" feiert er im Keller bei Schnaps und samtigen Wurlitzer-Melodien Abschied vom Elternhaus. Der Vater ist im Altersheim. Sein Geld macht der Schlagerstar in Rimini. Lebensgroße Plakate zieren die Richie-Bravo-Villa, glorreich war, scheint's, die Vergangenheit. Die Gegenwart: nasskalte Strand-Nostalgie. Doch Richie ist, wie er sagen würde, noch "con molto amore", zwängt den Wanst per Mieder ins "jacketto", reimt "perfetto", und intoniert in biederen Hotelfoyers inbrünstig deutsche Schnulzen. Mit Charme und Schwulst dringt der Ösi-Gigolo ins Gemüt (vorzugsweise weiblicher) Best Ager ein. Gern auch in ihre Körper. Und Portemonnaies.

Seidls neues Opus magnum ist von tiefer Romantik, ja Traurigkeit. Mag die Oberfläche auch noch so dreckig und pervers sein: Kaum war ein Film der Pathos-Praxis des Lebens so nah. Gerahmt vom letzten Kino-Auftritt Hans-Michael Rehbergs, brilliert Michael Thomas als Sohn, Vater, Mann. Sein Leiden ist so echt und falsch wie seine Liebe. Sein Singen das einsame Selbstgespräch eines Losers.

Quelle: 72. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)

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Heinz17herne
Heinz17herne
Richie Bravo (Michael Thomas, selbst einst als Sänger in Musicals und Gala-Shows gefragt, in der Rolle seines Lebens) hat schon bessere Zeiten gesehen. Einst „der“ deutschsprachige Schlagerkönig, überwintert der Entertainer aus dem niederösterreichischen Neunkirchen nun in Rimini, wo er sich, den Bierbauch ins Korsett gezwängt, mit Auftritten in zugigen Hotelfoyers und mit Liebesdiensten seiner ebenfalls in die Jahre gekommenen weiblichen Fans eher schlecht als recht durchschlägt.

Zur Beerdigung seiner Mutter, die sich ihr Lieblingslied, Udo Jürgens‘ „Merci Chérie“, am Grab gewünscht hat, ist Richie in sein Elternhaus zurückgekehrt, wo ein Flügel im Wohnzimmer steht und in der Kellerbar eine Wurlitzer Jukebox: „Schwarze Madonna“. Er hat sein Jugendzimmer mit Rex Gildo- und Winnetou-Postern wieder bezogen und mit seinem jüngeren Bruder Ewald gesoffen. Ihr dementer Vater rüttelt derweil im Heim Waldesruh an verschlossenen Türen, nachdem er es nicht mehr ertragen hat, „So ein Tag“ im Rollator-Kreis anzustimmen.

Zurück an der nebligen, gar winterlich verschneiten Adria, wo gerade eine Busladung schmachtender Seniorinnen im renovierungsbedürftigen Hotel du Soleil eingetroffen ist, wärmen sich nordafrikanische Asylbewerber eng zusammengerückt unter den Vordächern verlassener Strandhütten aneinander. Richies erster Weg führt ihn auf das Zimmer einer seiner zumeist verwitweten „Sexgöttinnen“, da er seine von einstigem Ruhm zeugende Villa stets an zahlungskräftige Touristen vermietet.

Auch wenn es ihm bei seinen Liebesdiensten in erster Linie um die Kohle geht, die er dann vorzugsweise gleich wieder verzockt, sehnt sich Richie auch nach Wärme – und nach Anerkennung, zumal von seinem größten Fan Emmi Fleck, die mit ihrem weit weniger enthusiastischen Gatten im Schlepptau für einige Tage das mit Fotos, Papp-Aufstellern und verstaubten Schallplatten vollgestellte Richie-Bravo-Museum bezieht.

200 Euro Gage pro Abend ist zumindest für seine 18-jährige Tochter Tessa ein Anfang, will sie doch nach zwölf Jahren endlich die ihrer Mutter verweigerten Alimente sehen, um sich eine eigene Zukunft aufzubauen. Doch der Bankomat spuckt nichts aus, Papa Richie ist pleite und überdies ‘mal wieder besoffen. Tessa bleibt dran, Papa Richie peinigt das schlechte Gewissen: Schließlich treibt er die geforderte Kohle auf…

„Rimini“ ist der erste Teil eines Diptychons über zwei Brüder, die in der Ferne ihr Glück suchen. Ulrich Seidl im Neue Visionen-Presseheft: „Mit ‚Rimini‘ und ‚Sparta‘ sind zwei Filme entstanden, deren Protagonisten Männer sind. Auch sie sind verwandtschaftlich miteinander verbunden. Zwei Brüder und ihr Vater. Obwohl auch diese Filme sehr unterschiedliche Geschichten erzählen, sehr unterschiedliche Lebenssituationen beschreiben und auch an jeweils anderen Orten spielen, ist hier das verbindende Element die Suche nach dem Glück und der Versuch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch sie holt einen ein, das ist die bittere oder befreiende Wahrheit, der sich die Protagonisten am Ende stellen müssen. Also ja, es gibt zur ‚Paradies‘-Trilogie so etwas wie eine übergeordnete Affinität. Auch in diesen Filmen, in ‚Rimini‘ und in ‚Sparta‘, geht es um die Sehnsucht nach Liebe, um sexuelle Erfüllung und das Scheitern daran und um die Einsamkeit, die bleibt.“

Beim Diagonale-Festival in Graz gabs Preise für Ulrich Seidl (Bester Film) und Tanja Hausner (Beste Kostüme), beim österreichischen Filmpreis Romy 2022 den Preis für die beste Musik: Fritz Ostermayr und Herwig Zamernik haben die von Michael Thomas in Rimini live gesungenen Schlager („Emilia“, „Amore mio“, „Insieme con te“) getextet und komponiert.

Richie Bravos Vater war die letzte Rolle des beim Dreh in einem Pflegeheim in Niederösterreich bereits schwerkranken Hans-Michael Rehberg, der im November 2017 gestorben ist. Ulrich Seidl im Presseheft: „Kaum war die erste Klappe gefallen, war dieser großartige Schauspieler wie ausgewechselt. Von Müdigkeit und Erschöpfung keine Spur. Er hat seinen Part äußert diszipliniert und mit großer Empathie gespielt. Wissend, dass dies seine letzte Rolle sein wird, hat er alles gegeben. Ein großes Geschenk an mich und den Film.“

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Regie

Regie-Assistenz

Innenrequisite

Kostüme

Ton-Design

Mischung

Darsteller

Co-Produzent

Producer

Associate Producer

Aufnahmeleitung

Dreharbeiten

    • 18.03.2017 - Mai 2018: Rimini
Länge:
116 min
Format:
DCP
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 20.07.2022, 231936, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 11.02.2022, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 06.10.2022

Titel

  • Originaltitel (DE) Rimini
  • Arbeitstitel (DE) Böse Spiele

Fassungen

Original

Länge:
116 min
Format:
DCP
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 20.07.2022, 231936, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 11.02.2022, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 06.10.2022

Auszeichnungen

Österreichischer Filmpreis 2022
  • Romy, Beste Musik
Diagonale - Festival des österreichischen Films 2022
  • Großer Diagonale-Preis des Landes Steiermark, Bester Spielfilm
  • Diagonale-Preis Szenenbild und Kostümbild des Verbandes Österreichischer Filmausstatter*innen VÖF, Bestes Szenenbild / Bestes Kostümbild