Hermann Diehl
Hermann Diehl wurde am 5. Dezember 1906 geboren. Sein Vater war Kunstmaler. 1927 holte ihn sein älterer Bruder Ferdinand als Trickfilmzeichner in die Kulturabteilung der Emelka-Filmgesellschaft in München-Geiselgasteig. Als die Kulturabteilung 1928 schloss, machten sich die Brüder Diehl selbständig und begannen mit der Herstellung ihres ersten eigenen Films, einem Scherenschnittfilm nach dem Vorbild Lotte Reinigers: "Kalif Storch", basierend auf dem Märchen von Wilhelm Hauff. Als Studio diente ihnen das Atelier des kurz zuvor verstorbenen Vaters, ein Speicherraum von gerade einmal 32 qm. Von der finanziell angeschlagenen Emelka kauften sie eine Ernemann-Kamera, rüsteten sie auf Einzelbildschaltung um und bauten einen eigenen Tricktisch: Die Scherenschnitt-Figuren wurden hier durch Auflicht illuminiert und mittels Legetrick animiert. Der älteste Bruder, Paul (*1886), war ebenfalls an der Produktion beteiligt. Der 20-minütige Film wurde 1930, nach zweijähriger Arbeit, fertiggestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich jedoch bereits der Tonfilm durchgesetzt, sodass dem Stummfilm "Kalif Storch" keine größere Aufmerksamkeit mehr zuteilwurde.
Nach diesem Silhouettenfilm wendeten sich die drei Brüder dem Puppentrick zu – und fanden zumindest in Fachkreisen viel Beachtung. Der Film-Kurier schrieb 1931: "In einem Vorort Münchens, zwischen Wiesen und Wäldern, haben drei Idealisten des Films ein mit ganz eigenartigen technischen Finessen ausgestattetes Filmatelier eingerichtet. Es sind drei Brüder: ein Maler, ein Filmtechniker und ein Gelehrter [der promovierte Paul], die hier buchstäblich unter Ausschluß der Öffentlichkeit an der Schaffung von Märchenfilmen arbeiten. (…) Jetzt liegen zwei Werke dieses Ateliers fertig vor; zwei Märchen, denn diese Idealisten namens Diehl wollen dem deutschen Film ausschließlich Märchen liefern. Ein großer Zeichentrickfilm, 'Kalif Storch', hat eine ganz neue Wirkung dieser Filmgattung. Seine Bauten wirken plastisch und nicht flächig, wie sonst bei Märchenfilmen. (…) Ein zweiter Film fürs Beiprogramm ist fertig [vermutlich ist der heute verschollene 'Zwischpaduri der Strolch' gemeint]. Diesmal ein Puppenfilm von einer bezaubernden Grazie und Lebendigkeit der Bewegung, wie wir sie nur aus den Filmen Starewitchs kennen."
Hermann Diehl schuf bei den Filmen die kunstvollen und innovativen Puppen, Ferdinand war Regisseur und Animator, Paul fungierte als Drehbuchautor. Bis dahin hatten die meisten Trickfiguren unbewegliche Gesichter und starre Gliedmaßen. Hermanns neuartige Puppen hingegen hatten austauschbare Gesichtsausdrücke (insbesondere auch für die Mundpartien) und ein aufwändiges Metallskelett mit Kugelgelenken und beweglichen Gliedmaßen.
Die Gebrüder realisierten zunächst Vorprogramme für Kinofilme, von denen besonders die Abenteuer der "Grotesk-Figur" Wupp (1931-33) populär waren. An dieses Erfolgsrezept anknüpfend, schufen sie weitere Filme mit skurril-bizarren Figuren. Außerdem drehten die Diehls kleine Werbefilme.
1933 gründeten die Brüder in Gräfelfing bei München die Gebrüder Diehl-Filmproduktion. Obwohl die Nazis die grotesken Figuren wie den Wupp als "volksfremd" einstuften, wurde die 1935 gegründete 'Reichsstelle für den Unterrichtsfilm' (RfdU) ein bedeutender Auftraggeber der Diehls – allerdings mit anderen Themen und Figuren: für das RfdU drehten die Brüder eine Vielzahl an Märchenfilmen. Der erste davon, "Von einem der auszog, das Gruseln zu lernen" (1935), war wegen seiner eigenwilligen Gestaltung und der bemerkenswert unheimlichen Atmosphäre bei Schüler*innen beliebt, entfachte unter Lehrer*innenn jedoch genau deshalb scharfe Diskussionen. Bei der Weltausstellung in Paris 1937 wurden die Diehls für diesen Film und für "Tischlein deck’ dich" (1936) mit Goldmedaillen ausgezeichnet. Daneben realisierten sie weiterhin Werbefilme, etwa "Es war einmal …" (1935) für einen Radio-Hersteller.
Die wohl ambitionierteste Diehl-Produktion dieser Jahre war die 55-minütige Brüder-Grimm-Adaption "Die sieben Raben" (1937), bei dem die Puppen nach Vorlagen des Zeichners Moritz von Schwind gefertigt wurden. Der insgesamt recht gruselige Film kam beim Publikum nicht gut an, erhielt aber sehr gute Kritiken. Der Film-Kurier urteilte: "Die gute Regie dieses Films, die durchaus echt wirkenden Aufnahmen, die prachtvolle Photographie, die gelungene Kleinarbeit, die sich in einer Unzahl von Einzelszenen immer aufs neue erweist, machen den Film für Kinderprogramme hervorragend geeignet." Wobei Paul Diehl (Drehbuch) in genau dieser Einstufung von Puppentrickfilmen als Kinderunterhaltung das Dilemma sah. So schrieb er 1941 in dem Fachblatt Film und Bild: "Das Spiel mit Puppen [wird] dem mit Menschen dargestellten Film gegenüber als etwas Minderwertiges betrachtet, allenfalls für Kleinkinder geeignet, für Erwachsene aber eine Quantité négligeable (…)."
Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der RfdU entstand 1938 auch der wohl berühmteste Diehl-Trickfilm: "Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel", nach den Brüdern Grimm (wie die meisten ihrer Märchenfilme wurde er aus Kostengründen als Stummfilm mit Zwischentiteln produziert). Darin übertölpelt ein gewitzter Igel einen ebenso flinken wie eingebildeten Hasen. Hermann Diehl gestaltete die Puppe mit echtem Igelhaar, Paul schrieb pädagogische Begleittexte, während die Mutter der Brüder die Kostüme nähte. Wie fast immer führte Ferdinand Regie. Der Film war ein so großer Erfolg, dass die Diehls später Postkarten mit der Igel-Figur drucken ließen.
Einen Namen hatte Hermanns Schöpfung damals noch nicht; erst nach dem Krieg, als der Igel zum Maskottchen der Rundfunkzeitschrift Hörzu avancierte (die Ferdinand Diehl auf Tantiemen verklagen musste) und von der Firma Steiff als Spielpuppe vermarktet wurde, erhielt er einen Namen: Mecki. Später resümierte Ferdinand Diehl, dass von den gut tausend Puppen, die sein Bruder Herrmann und er geschaffen hätten, nur diese eine sich wirklich durchsetzen konnte. Noch Jahrzehnte später waren die Lizenzeinnahmen aus der Igel-Figur die finanzielle Basis der Diehl-Film und Verlag KG.
Weitere Diehl-Filme bis 1945 waren unter anderem "Tapferes Schneiderlein" (1938), "Max und Moritz" (1941) und "Dornröschen" (1941). Mit ihrer Tätigkeit für das RfdU unterstanden die Brüder zwar nicht dem Propagandaministerium, sondern dem Erziehungsministerium, dennoch wurden ihre Filme von den Nazis politisch instrumentalisiert. Die Fachzeitschrift Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz schrieb 2010: "Auch in der Schule hatte man längst damit begonnen, Märchen - und damit auch die Märchenfilme der Gebrüder Diehl - nationalsozialistisch umzudeuten. 'Die Stadtmaus und die Feldmaus' etwa eignete sich perfekt dafür, die Heimatverbundenheit zu stärken und gleichzeitig gegen die Landflucht zu propagieren (...) Den eigentlich ideologiefreien Filmen der Gebrüder Diehl hatte das nationalsozialistische Unterrichtssystem die Unschuld geraubt". Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Paul Diehl sich bereits 1931 in seinem Buch "Wohin führt uns der Nationalsozialismus?" sehr kritisch mit der Ideologie der Nazis auseinandergesetzt hatte.
Auch wurden einige Diehl-Märchenfilme zur Unterhaltung der Truppen in den Frontkinos eingesetzt und als Verfilmung "deutscher Kulturschätze" bezeichnet, die es zu verteidigen gelte. In diesem Kontext lässt sich der sehr aufwändige "Die Erstürmung einer mittelalterlichen Stadt um das Jahr 1350" (1944) als Versuch der Brüder betrachten, durch die rein historisch-didaktische Bearbeitung eines Kriegsthemas der Forderung nach regimestärkenden Werken zu entgehen – was dieser Film keineswegs ist. Im Katalog zur großen Gebrüder-Diehl-Ausstellung im Deutschen Filmmuseum Frankfurt 1995 heißt es vielmehr: "Die Diehls waren mit äußerster Akribie in Recherchen vertieft. Bis Ende 1943 führten sie eine umfangreiche Korrespondenz mit dem Historischen Museum in Dresden, mit dem Konservator der Stadt Köln und mit verschiedenen Restauratoren. Dabei ging es um Fragen, welches Kleidungsstück ein Ritter über dem Panzerhemd, dem Lentner, trug, um wieviel Finger breit das eine kürzer war als das andere, auf welcher Seite ein Armbrustschütze den Bolzenköcher befestigt hatte oder wie der Baumbestand in einer Kleinstadt des Jahres 1350 ausgesehen haben mag. Der Film verzichtet dann völlig auf die Herausstellung von 'Individuen', aber auch weder die Gruppe der Belagerer noch die der Belagerten werden in irgendeiner Weise charakterisiert oder gar historisch definiert. Augenscheinlich ging es hauptsächlich darum, eine Studie in mittelalterlicher Waffentechnik abzuliefern."
Nach dem Ende des Krieges und der Nazizeit hielten die Diehls sich zunächst mit der HofBühne über Wasser, einem Handpuppen-Wandertheater. Im November 1948 wurde den Brüdern schließlich die Filmlizenz erteilt. Im folgenden Jahr zog sich Paul, der eine Politkarriere eingeschlagen hatte, endgültig aus dem Filmgeschäft zurück. Ferdinand und Hermann drehte in den folgenden Jahren vor allem zahlreiche Werbefilme. 1952 wurden nach der Hörzu auch die Alliierten auf Mecki aufmerksam: Auf Initiative der Amerikaner realisierten die Diehls von 1950 bis 1958 weitere Igel-Filme für die Neue deutsche Wochenschau – die putzige Figur sollte auch dazu dienen, den Deutschen demokratische Werte zu vermitteln.
Neben dem Mecki erreichte nur noch ein weiterer Diehl-Charakter eine gewisse Popularität: Kasperl Larifari. Er war 1950 in "Immer wieder Glück" der Held der zweiten abendfüllenden Diehl-Produktion (nach "Die sieben Raben"). Darin sucht der Kasper auf einer fernen Insel nach einer magischen Blume, um die kranke Prinzessin zu heilen. Der überaus aufwändig gestaltete Film war ein Erfolg, sodass bald ein weiteres Kasperl-Larifari-Abenteuer folgte: "Der Flaschenteufel" (1952), diesmal jedoch nicht mit Animationspuppen realisiert, sondern (um die Produktionszeit zu verkürzen) mit Stab- und Handpuppen. Als Vorlage diente die gleichnamige Erzählung von Robert Louis Stevenson. Da Ferdinand Diehl trotz der innovativen Puppengestaltung nicht mit dem Ergebnis zufrieden war, blieb "Der Flaschenteufel" das einzige Werk mit Stab- und Handpuppen. 1956 folgten noch die Kurzfilme "Kasperl und die Wunderschachtel" und "Kasperl im Wilden Westen". Auch im klassischen Kasperletheater avancierte der Kasper Larifari zu einer überaus einflussreichen Figur.
Im Lauf der 1950er Jahre verlor der Kinderfilmmarkt jedoch an Attraktivität für viele Produzenten. Neben der Konkurrenz durch Kinderprogramme im Fernsehen erwies sich das neue Jugendschutzgesetz als hinderlich, da es ein generelles Kinoverbot für Kinder unter sechs Jahren enthielt. Als Folge stellten die Diehls die Produktion für das Kino ein. Sie produzierten noch einzelne Werbefilme sowie Kurzfilme, die auch im 8mm-Schmalfilmformat herausgebracht wurden.
1960 entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (F.W.U.) und dem Kulturfilmfonds des Landes Nordrhein-Westfalen der aufwändige Animationsfilm "Gutenberg": Er zeigt spätgotische Räume, Stuben, Kirchen, Werkstätten, den Marktplatz vor dem Dom zu Mainz sowie ein Modell der ersten Buchdruckerpresse einschließlich Setzkasten in naturgetreuer Nachbildung. Die Kostüme und Gesichter wurden nach alten Stichen und Bildtafeln gestaltet. Neben "Die Sieben Raben" und "Erstürmung einer mittelalterlichen Stadt um das Jahr 1350" bildete "Gutenberg" den Höhepunkt des naturalistischen Puppenspiels der Diehls.
An der zunehmend prekären wirtschaftlichen Situation änderte das nichts. Um das Studio am Laufen zu halten, musste Ferdinand Diehl es immer häufiger an andere Filmemacher und Firmen vermieten. Hermann Diehl zog sich schließlich zurück. Bei den letzten Diehl-Produktionen, "Die Wichtelmänner" (1968) und "Die Bremer Stadtmusikanten" (1970), entwarf Ferdinands Sohn Anton die Puppen. 1970 stellte die Firma ihren Betrieb ein. Die Mecki-Lizenzen sicherten den Lebensunterhalt der Diehls.
Hermann Diehl starb am 20. Dezember 1983. Der Nachlass der Gebrüder Diehl wird vom DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt am Main verwaltet.