Blueprint

Deutschland 2002/2003 Spielfilm

Blueprint



Cornelia Fleer, film-dienst, Nr. 1, 01.01.2004

"Lieber Gott, mach" alles, was du willst, aus mir – mach" einen Stein, einen Baum, einen Vogel aus mir – nur mach" mich nicht noch einmal." Der Ausspruch vom Weltgeist Georg Christoph Lichtenberg fällt in Rolf Schübels neuem Film gewissermaßen als Nachruf auf den ersten geklonten Menschen. Nicht der Klon wird zu Grabe getragen, sondern das Original, allerdings mit dem Effekt, dass sich der Klon endlich auch als Individuum fühlen kann. "Ich bin wieder da, ich hab" meinen eigenen Tod überlebt", sagt Siri, der Klon, aber da ist der Film, nach 113 Minuten, bereits am Ende.

"Blueprint", nach dem Roman "Blueprint-Blaupause" von Charlotte Kerner, erzählt die Geschichte der geklonten Tochter einer weltberühmten Konzertpianistin. Um ihr Talent für die Nachwelt zu konservieren, überredet die an Multipler Sklerose erkrankte Iris den kanadischen Reproduktionsmediziner Martin Fisher zu dem illegalen Eingriff. Fisher pflanzt Iris eine mit dem eigenen Erbgut ausgestattete Eizelle ein. Das vor der Öffentlichkeit zunächst verheimlichte Experiment gelingt. Von der Mutter gefördert, wächst Siri zu einer vielversprechenden Nachwuchspianistin heran, der Mutter zum verwechseln ähnlich und mit den gleichen musikalischen Talenten gesegnet. Als Siri unter dramatischen Umständen von ihrer wahren Herkunft erfährt, zieht sie sich in die Einsamkeit der kanadischen Wälder zurück. Dort begegnet sie dem jungen Architekten Greg, der ihr das Gefühl gibt, um ihrer selbst willen geliebt zu werden.

Ursprünglich kommt Rolf Schübel vom Dokumentarfilm her. Mit seinem vielbeachteten Spielfilm "Ein Lied von Liebe und Tod – Gloomy Sunday" (fd 33 904) traf der mehrfache Grimme-Preisträger ("Rote Fahnen sieht man besser", 1971) mitten ins Herz seines Publikums. Die Geschichte um ein Restaurant in Budapest zur Nazizeit überzeugte durch die ausgewogene Darstellung des schwierigen Themas, und Schübel bewies Augenmaß für kleinste Details. Im vorliegenden Film hat sich der Regisseur auf ein Science-Fiction- Thema verlegt, das in der nahen Zukunft spielt. Doch was bei "Gloomy Sunday" funktionierte, geht beim Blick in die Zukunft nicht auf. Das eigentliche Thema, die Gen-Technologie, stellt Schübel zugunsten der Mutter-Tochter-Beziehung derart in den Hindergrund, dass es dem Zuschauer fast aus dem Sinn gerät. Zwischen den Charakteren der beiden Frauen, die trotz ihrer Ähnlichkeit so unterschiedlich wie Tag und Nacht sind, findet der Film keine rechte Perspektive. Das eigentliche Wunder in "Blueprint" ist Franka Potente, die gleichermaßen überzeugend die exzentrische Iris wie deren aufmüpfige Tochter Siri, den geklonten Menschen, verkörpert. Für die natürlich agierende Schauspielerin scheint die Doppelrolle einer Pianistin wie geschaffen. In den konträren Charakteren geht Potente vollkommen auf. Und: Sie "spielt" die schwersten Bach- und Schumann-Stücke mit einer derartigen Hingabe, dass man vergisst, dass ihr Spiel nur imitiert ist. Wenn sie beispielsweise im roten Abendkleid der Pianistin auf die Bühne tritt, gewinnt sie als Konzertdiva eine Ausstrahlung, die mit der Sinnlichkeit einer Juliette Binoche konkurrieren kann.


In einer Schlüsselszene probt Iris mit ihrem Freund, dem Cellisten Kristian, den komplizierten Teil einer Schumann-Fantasie. Sie streiten über eine Stelle des Werks, als Siri das Zimmer betritt und den beiden ihr Können demonstriert. So keck wie sie herein kam, so schnell verschwindet die junge Frau wieder und lässt Mutter und Freund irritiert zurück. "Findest du sie schön?", fragt Iris in einem Anflug aufkeimender Eifersucht. Und der Freund antwortet diplomatisch: " ... weil sie dir so ähnlich sieht." So schlägt Siri, nachdem sie weiß, dass sie ein Klon ist, aus Wut und Verzweiflung über die Stränge. Unter dem ersten Schock fällt sie in eine Art Koma, doch noch in der Bewusstlosigkeit wird sie von der Mutter drangsaliert. Nachdem sie beim Versuch, Iris auf der Bühne zu überbieten, versagt, beschließt sie, nie wieder eine Pianotaste zu berühren; stattdessen pflegt sie in den Wäldern mit der Natur und mit Rudolf, einem großen weißen Wapiti-Hirsch, ein inniges Verhältnis.

"Blueprint" lässt sich weder zur Kategorie der Pianisten-Filme wie Scott Hicks "Shine" (fd 32 430) oder François Girards experimentellem Dokumentarfilm "32 Variationen über Glenn Gould" (fd 30 751) zählen, noch zum Genre des engagierten Sozialdramas; vielmehr ist er ein opulentes Identitätsdrama, das souverän den mit der Klon-Thematik verbundenen Gefühlslagen folgt. Der möglichen Geisteshaltung des geklonten Menschen und der Seelennot des Doppelgängers gilt Schübels Interesse, weshalb das Drehbuch mit stets neuen Einfällen den Seelenschmerz der Protagonistinnen zeigt. "Du bist mein Leben", sagt Iris zu Siri, "ich habe doch nur dich", worauf die Tochter kalt kontert: "Komisch, ich habe auch nur mich!"

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