Heimat 3 - Chronik einer Zeitenwende (6 Teile)

Deutschland Großbritannien 2002-2004 TV-Spielfilm

70 Jahre deutsche Geschichte

Mit dem dritten Teil hat Edgar Reitz seinen Heimat-Zyklus vollendet


Marli Feldvoß, epd Film, Nr. 10, 01.10.2004

"Heimat 3 - Chronik einer Zeitenwende" ist der letzte Teil von Edgar Reitz" monumentaler Trilogie betitelt, der mit dem Mauerfall 1989 beginnt. 680 Minuten, aufgeteilt in sechs Episoden, ist dieser Teil lang, der beim Festival von Venedig als Special Event lief und den die ARD im Dezember ausstrahlt. Ins Kino kommt er aber schon vorher.

Fernweh hieß das allererste Kapitel von Edgar Reitz" insgesamt 30 Serienfilmen, die nun als Heimat-Trilogie zu einer geschlossenen Form gefunden haben. Das "Fernweh" der Weggeher forderte schon damals seinen Gegenpart heraus, ein Kapitel oder zumindest einen Gefühlszustand, der sich als "Heimweh" interpretieren ließe. Aber für das "Heimweh" der Heimkehrer, das mit seinem undefinierbaren Gefühlsstau der urdeutschen Wortschöpfung "Heimat" sehr nahe steht, brauchte Reitz genau 70 Jahre Zeitgeschichte, von 1919 bis zum Stichtag des 9. November 1989. Und jetzt verbirgt es sich hinter der nur ironisch zu wertenden Kapitelüberschrift: "Das glücklichste Volk der Welt", ein Zitat des damals regierenden Berliner Bürgermeisters Walter Momper.

Der Heimat-Zyklus, der ungefähr 24 Jahre Produktionsgeschichte auf dem Buckel hat, ist ein filmisches Lebenswerk, auch ein "Meilenstein der deutschen Fernsehgeschichte", wie es immer wieder heißt, in seiner Ästhetik jedoch zur deutschen Filmgeschichte gehörig. Auch deshalb feierten alle drei Heimat-Teile ihre Welturaufführung in Venedig und ihre Deutschlandpremieren in den Theatersälen und Kinos, im deutlichen Abstand zur TV-Ausstrahlung.

So als würde ein lang gegebenes Versprechen endlich eingelöst, treffen sich die Sängerin Clarissa Lichtblau und der Dirigent Hermann Simon, der jüngste aus der Schabbach-Sippschaft, im ersten Kapitel von "Heimat 3" am Abend des Mauerfalls zufällig in Berlin wieder. Beide sind international anerkannte Künstler, die schon lange aus dem Koffer leben und sich nach einer Heimstatt sehnen. Für Clarissa wird sie von einem verfallenen Fachwerkhaus mit Blick auf die Loreley, ganz in der Nähe von Schabbach, verkörpert. Aber als erstes spiegelt sich das wiedergefundene Liebespaar in den Fernsehbildern vom Sturm des Brandenburger Tors.

Die eigentliche Heimkehr vollzieht das "Hermännche" dann aber ganz allein, wenn er sich auf den Fußweg ins altbekannte, schwarzweiß belassene Schabbach zu seinen Brüdern, dem verrückten Flieger Ernst und dem erfolgreichen Fabrikbesitzer Anton, macht. Dieses große Wiedersehen wird in den fünf folgenden Heimat-Teilen wieder in Stücke gerissen, durch Zwietracht, Tod, einfach durch das Leben, das die beiden Künstler trotz aller Verluste irgendwie unberührt lässt. Clarissa und Hermann sind von Anfang an das hohe Paar in einem verwunschenen Schloss, das viel zu schön, auch viel zu vergeistigt ist, um "schmutzige" heimatliche Gefühle zu wecken oder zuzulassen.

Heimatlich – und hier spricht eine Westdeutsche – muten allenfalls die fleißigen Helfer aus der Ex-DDR an, die Facharbeiter, die von Clarissa für zehn DM in Leipzig angeheuert werden und so Sächsisch reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Gunnar und Udo vom Gewandhaus kommen als Erste, bald gesellt sich noch Toby hinzu, ein richtiger Freak, von Beruf eigentlich Restaurator, der später von Ernst Simon in seine Sammlergeheimnisse eingeweiht werden soll. Der von allen vom Schicksal wohl am meisten gebeutelte Gunnar (Uwe Steimle) ist einfach die Glücksbesetzung des Films: Zuerst läuft seine Frau samt Kinder zum Westen – verkörpert durch Hermanns Konzertagent – über; zuletzt richtet er auf seine großzügige Art die große Milleniums-Wiedersehensfeier im Fachwerkhaus aus, an der er, weil er in München wegen Alkohol am Steuer einsitzt, nicht einmal teilnehmen kann. Dazwischen macht er als "Mauerspecht" Karriere.

Alle "neuen" Bundesbürger – dazu stoßen im dritten Kapitel noch die Aussiedler-Russen – haben eigentlich das Herz auf dem rechten Fleck, da, wo beim zerstrittenen Simon-Clan nur die merkantile Fabrikantenseele schlägt. Man fragt sich immer wieder, was aus "Heimat 3" ohne den Komiker Uwe Steimle geworden wäre. Neben ihm umweht nur den Außenseiter Ernst Simon, den Luftikus mit dem Landeplatz auf dem hauseigenen Rasen, noch der Geist des zerstreuten Romantikers, eines Einzelgängers, der sich seinen privaten Traum erhalten hat. Dass auch er scheitern, sogar zerschellen wird, dass sein Museumsplan der Unwirtlichkeit der Erdverwerfungen zum Opfer fallen wird, dass die ganze europäische Kunst mit einem Schlag vom Berg verschlungen wird – da bemüht Autor Reitz die höheren Mächte, die kraft Natur gegen die böse Globalisierung ankämpfen, die den deutschen Erfolg und die deutsche Wertarbeit im Lauf der neunziger Jahre zermalmt. Symbolisch gesprochen wird hier der deutschen Heimat ihr Nibelungenhort zurückerstattet, für immer versiegelt – auch gerettet?

So bleibt der viel zitierte Satz der Fontaneschen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg", dass erst die Fremde uns lehre, was wir an der Heimat besitzen, letztlich unbeantwortet, eine Floskel. Wenn Clarissa bei ihrem letzten Auftritt "Maybe this time I win" singt, sind die einstigen Vereinigungsgefühle längst im Feuerwerk verpufft, wird nur noch der Familie, die alles überdauere, das Wort geredet. Mit dem Glauben an die Familie als der kleinsten und doch sichersten Überlebensgarantie im unübersichtlichen globalen Spiel, damit verabschiedet sich heute ein Edgar Reitz. Damit ist wohl sein letztes Wort zum Thema "Heimat" gesagt.

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