Schmetterlinge

BR Deutschland 1987/1988 Spielfilm

Unter den Brücken



Bei der Lektüre der Erzählungen des ersten Buches des englischen Schriftstellers Ian McEwau ("Erste Liebe, letzte Riten") entdeckte Becker unwillkürlich eine Geschichte, die seine Phantasie als Filmemacher anregen mußte: "Schmetterlinge" erzählt retrospektiv von einem Mord aus der Perspektive eines Mörders, der seine Tat so selbstverständlich zu nehmen scheint, wie der Autor sie beschreibt. Es ist die Geschichte eines Einzelgängers, der sich und seine Mitmenschen so wenig wichtig nimmt, daß die Wahl seines Opfers so willkürlich scheint wie der Tatort. Und doch läuft die Geschichte zwingend auf den Mord an einem kleinen Mädchen an der einsamsten Stelle eines Kanals hinaus, an dem die Gegenwart von Schmetterlingen so unwahrscheinlich ist wie die eines Berliner Traditionsvereins in der ersten Bundesliga. Doch seinem Opfer verspricht er Schmetterlinge, um es an den Tatort zu locken. Die Leiche wird er erst Tage später sehen, wenn er sie im Leichenschauhaus identifizieren muß. Der Täter eines Verbrechens gibt sich nämlich als Zeuge eines Unfalls aus. So treibt er sein Unbeteiligtsein auf die Spitze.

Wolfgang Becker ist ein Handwerker. Das mitunter an Selbsttherapie mißverstandene Selbstverständnis des Autorenfilms, dessen Betonung meist so stark auf den ersten drei Silben liegt, daß die letzte fast völlig verschluckt wird, ist ihm fremd. Becker arbeitete als Kamera-Assistent bei Michael Ballhaus, als Regie-Assistent bei Istvan Szabo und ist mehrere Male selbst als Kameramann tätig gewesen.

Er hat in der meisterhaften literarischen Vorlage Ian McEwans einen Stoff fürs Kino entdeckt und diesen scheinbar mühelos dorthin übertragen. Dafür war weniger ein geschwätziges Drehbuch notwendig als vielmehr die sorgfältige Auswahl der Darsteller, der Schauplätze und Gespür für den richtigen Rhythmus der Dramaturgie einer Geschichte, deren Höhepunkte nicht einfacherweise in der Pointe, sondern in den Details liegen.

So wurde "Schmetterlinge" nicht nur eine auffallend unangestrengte und atmosphärisch stimmige Literaturverfilmung. Ein Film also, der diesem verpönten Wort wieder eine angenehme Qualität verleiht. "Schmetterlinge" wurde so auch ganz nebenbei ein Film über das Filmemachen. Ein Film etwa über Schauplätze, die Becker sowohl im tiefsten Neukölln als auch im tiefsten Ruhrgebiet fand und die McEwans Londoner Vorstadt-Tristesse nicht kopieren, sondern ersetzen.

Manchmal interessieren den Kameramann und Filmemacher Becker (der seinen Film übrigens von jemand anderem, nämlich Martin Kukula fotografieren ließ) die Figuren nur als Teil der Bilder. Das macht seine kargen Einstellungen so schön und eindringlich. Manchmal interessieren den Kameramann und Filmemacher Becker nur die Details, die auch für den Autor McEwan so wichtig sind und deren Montage dem Film seine richtige Rhythmik verleihen. Und dann, im rechten Augenblick, interessieren den Filmemacher und Kameramann Becker seine Figuren, bei deren Besetzung der Zufall wieder Schicksal spielte. Bertram von Boxberg, selbst Schüler der DFFB, mimt den Mörder Andi mit der Indifferenz und Ekelhaftigkeit, die seine Tat so erschreckend wie logisch macht. Und in der kleinen Lena Boehnke erkannte Becker schon beim ersten Vorstellungstermin das geborene Opfer, das es auch deswegen wird, weil es dem Täter in jeder Beziehung überlegen zu sein scheint.

"Schmetterlinge" war für Wolfgang Becker eine Übung. Es ist ein Abschlußfilm der Berliner Film- und Fernsehakademie. Darum erhielt er auch noch einen Preis, der bisher unerwähnt blieb, den Student Film Award der amerikanischen "Oscar"-Academy. Doch es sieht ganz so aus, als ob sich Becker auch dadurch nicht entmutigen lassen wird.

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