Madrid

Deutschland 2002/2003 Spielfilm

Madrid


Jörg Gerle, film-dienst, Nr. 10, 13.05.2004

Isabelle arbeitet in einem Supermarkt am Rand der Stadt, dort, wo die Menschen nur deshalb leben, weil sie auf günstige Mieten angewiesen sind. Doch die 28-Jährige hat sich mit dem wenig anziehenden Umfeld arrangiert. Ihre Eltern sind nach Spanien zurückgekehrt, sie aber hat sich ihr Zuhause in Deutschland aufgebaut, in der Fremde, die zur Heimat geworden ist; schließlich lebt Isabelle seit Kindertagen hier. In einer Edeka-Filiale hat es Isabelle bis zur Assistentin des Chefs gebracht; mit ihrer Kollegin Gabi verbindet sie ein freundschaftliches Verhältnis. In Sachen Liebe hat sie weniger Glück: Ihr eigensinniger Freund Karl verliert das Interesse an der schüchternen Spanierin und gibt ihr den Laufpass. Erst der Inhaber der kleinen Spedition von nebenan scheint Isabelles Liebesleben in Schwung zu bringen. Doch der Halbspanier Manuel, der am liebsten im Land seines Vaters ein Geschäft aufmachen würde, ist ein Macho wie er im Buche steht. So dauert es nicht lange, bis sich Isabelle erneut zwischen ihrem Leben und den Plänen, die andere für sie machen, entscheiden muss.

Die Alltäglichkeiten, die Regisseurin und Autorin Daphne Charizani in ihrem Debütfilm ins Zentrum stellt, vermitteln eine eigentümliche Tristesse, in der sich die Protagonisten auf nahezu fatalistische Weise eingerichtet haben. Die Detailbeobachtungen und atmosphärischen Momente sind dabei so intensiv, dass sie eventuell aufkommende Fragen nach der Existenzberechtigung dieses Films gegenstandslos werden lassen. Dies ist vor allem auch der überzeugenden Hauptdarstellerin zu verdanken, deren verletzliche, stark in sich gekehrte Figur den Film ohne weiteres trägt. Kathrin Angerer verleiht der um Perspektiven ringenden jungen Frau mit leiser Stimme und gesenktem Blick eine latente Zerbrechlichkeit und konfrontiert den Zuschauer mit einer unspektakulären Chronik des Banalen, die gefangen nimmt. "Madrid" ist ein eher spröder Film, der einer Hollywood- Dramaturgie jedoch mehr verpflichtet ist, als man zunächst glauben mag. Denn natürlich durchlebt die Heldin die klassische Entwicklung, in deren Verlauf sie sich von „ihren“ Männern emanzipiert. Der Film leitet die emotionale Metamorphose durch einen ambitioniert gestalteten Höhepunkt ein. Isabelles verzweifelter und dennoch befreiender "Ausbruch", der nach der letzten Aussprache mit Manuel einsetzt, wirkt zunächst wie ein Fremdkörper im Gesamtkonzept, weil hier die spürbare Distanz zum Mainstream für wenige Sekunden aufgehoben ist. Doch der Regisseurin gelingt es, das Ruder herum zu reißen und die eigentliche Wandlung ihrer Protagonistin angenehm fern gängiger Klischees zu inszenieren. Gerade durch den Verzicht auf allzu deutliche Erklärungen stellt sich hier eine beträchtliche Lebensnähe ein.

Rights statement