Von Werra

Schweiz Deutschland 2000/2001 Dokumentarfilm

Von Werra

Dokumentarfilm über ein Nazi-Idol, sein Leben und seinen Nachruhm


Wilhelm Roth, epd Film, Nr. 12, 02.12.2003

1997 fragte der Historiker Wilfried Meichtry den Schweizer Dokumentarfilmregisseur Werner Schweizer ("Noel Field – der erfundene Spion"), ob er nicht einen Film über die Familie von Werra aus Leuk im Wallis drehen wolle. Dem Brief lag ein Foto bei, das Franz von Werra auf einem Bahnsteig zusammen mit Hitler zeigte. Werner Schweizer, schon vorher spezialisiert auf historische Themen, war fasziniert. Und das Sujet erwies sich als Glücksfall. Denn in ihm stoßen Geschichten aufeinander, wie sie so nur das 20. Jahrhundert schrieb.

Da ist einmal die verarmte Schweizer Adelsfamilie von Werra, die 1915 ihre jüngsten Kinder Franz und Emma zur Adoption in Deutschland freigibt. Die Geschwister, die sehr vertraut miteinander sind (ihr Briefwechsel ist eine Hauptquelle des Films), setzen in den dreißiger Jahren auf den Aufstieg der Nazis, vor allem Franz, der als Jagdflieger zu Beginn des Krieges schnell ein Held und ein Protagonist der Nazipropaganda wird.

Der nationale Ruhm wird ein Jahr später noch durch internationalen Ruhm übertroffen: Franz von Werra, 1940 über England abgeschossen, kommt als Kriegsgefangener nach Kanada, flieht in die USA, die damals noch nicht im Krieg mit Deutschland standen, kehrt über Südamerika nach Berlin zurück und wird gefeiert. Doch sein Buch über diese abenteuerliche Flucht wird nicht veröffentlicht – offensichtlich kamen die Engländer und Amerikaner darin zu gut weg. Im Herbst 1941 stürzte von Werras Flugzeug bei einem Übungsflug ins Meer, ein mysteriöser Unfall. Erst drei Wochen später meldete die Nazipresse den "Heldentod" des 27-Jährigen.

Aber damit noch nicht genug. 1957 produzierte die britische Rank Production den Spielfilm "The One that Got Away" (Einer kam durch) über Franz von Werras Flucht aus britischer Gefangenschaft. Der Regisseur Roy Baker sah in seinem Helden nicht so sehr den Nazi, sondern einen Mann mit starkem Freiheitsdrang, und der Coup war die Besetzung der Hauptrolle mit dem jungen Hardy Krüger, der mit diesem Film seine internationale Karriere begann. Auch er hatte eine Beziehung zum Fliegen: Als 16-Jähriger spielte Krüger 1944 in "Junge Adler" von Alfred Weidenmann mit. In Schweizers Film kommentiert nun der alte Hardy Krüger die Figur Franz von Werra und vergleicht sein eigenes Weltenbummlerleben mit der kurzen, rauschhaften Karriere des Fliegers.

Werner Schweizer gelingt es, alle diese Personen und Motive souverän miteinander zu verbinden. "Von Werra" ist sowohl Abenteuerfilm wie Essay, und viele Szenen haben in diesem Spannungsfeld eine doppelte Funktion: Schweizer hat zum Beispiel alte Jagdflieger gefunden, Kameraden von Franz von Werra, die einerseits die Story tragen und bestätigen, andererseits aber auch Material zu der Frage liefern: Waren Werra und die anderen Piloten Nazis? Sie sahen den Luftkrieg mehr als Sport denn als Krieg und sprechen erschreckend herzlos über die von ihnen getöteten britischen Flieger. Auch von Franz von Werra sind solche Sätze überliefert. Wir waren alle für Hitler, bekennt einer, weil er dieses Abenteuer ermöglichte. Andererseits war gerade von Werra kein typischer Nazi und Soldat, sondern ein charmanter Draufgänger, oder wie Hardy Krüger heute sagt: "ein unglaublich buntschillernder Vogel".

Hardy Krüger lieferte in "Einer kam durch" als Franz von Werra eine grandiose Performance an Eleganz und Lässigkeit. Der Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt stellt ihn mit seinem Körperspiel im Interview gar in eine Reihe mit den Rebellen der fünfziger Jahre, Marlon Brando und James Dean. Kuhlbrodt meint aber auch, dass die Figur gerade in Deutschland missbraucht wurde, und Krüger gibt zu, dass oft Lob von der falschen Seite kam, von alten Nazis, die in "Einer kam durch", völlig gegen die Intention von Regisseur und Hauptdarsteller, eine Ehrenrettung des deutschen Offiziers sahen. Werner Schweizer liefert zu all diesen Ereignissen und Deutungen keine Thesen. Das macht den Film so offen, so spannend.

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