Die Strafe

Österreich 1922 Spielfilm

Sodom und Gomorrha, 2. Teil


Der Kinematograph, Nr. 860, 19.8.1923


Die Berliner Zensur hat an die Genehmigung dieses Films die Bedingung gestellt, daß beide Teile an einem Abend vorgeführt werden sollen. So rollen also zwölf oder vierzehn Akte an uns vorüber, von denen zwei Drittel Massenszenen sind, die mit dem eigentlichen Inhalt nichts zu tun haben.

Es gehen, wenn man will, vier oder fünf Stoffe bunt durcheinander, deren Zusammenhang man, wenn man sehr intelligent ist, erst am Schluß erkennt.

Eine junge bildschöne Frau verläßt ihren armen, aber talentierten Geliebten, um einen reichen und alten Mann zu heiraten. Bei der Verlobung lernt sie den jungen Sohn kennen, der ihr natürlich lieber ist. Sie bestellt Vater und Sohn zur selben Stunde in einen chinesischen Pavillon, wo sich Verschiedenes tun soll.

Inzwischen träumt die schöne Frau von Baal und Astarte, von Sodom und Gomorrha, und es geschieht nichts. Der Sohn geht wieder in die klösterliche Schule, der alte Herr weiter auf die Börse, und der arme und talentierte Bildhauer wird mit der Geliebten getraut.

Zugegeben, daß die Massenszenen an sich gesehen geradezu vollendet sind, zugegeben, daß es Augenblicke gibt, die uns eine Bildwirkung vermitteln, die bis jetzt in deutschen und österreichischen Filmen nicht erreicht wurde, aber der Zusammenhang ist so unlogisch, so seicht und so oberflächlich, daß man es eigentlich nicht verstehen kann, daß eine Firma wie die "Sascha" so viel Geld in ein derartiges Sujet hineinsteckt.

In diese Rahmengeschichte hinein spielt eine Schilderung vom Untergang Sodoms und Gomorrhas.

Hier stecken die Ansätze zu einem ganz gewaltigen Filmstoff, und hier zeigt sich auch, dramaturgisch betrachtet, ein gewisses Tempo und eine gewisse Spannung. Aber dieser Teil wird erdrückt durch das Drumherum, durch Baal und Astarte, durch die Liebesgeschichte des reichen Herrn Harper mit der schönen, herzlosen Mary.

Der Photograph Gustav Ucicky hat ausgezeichnete Arbeit geleistet, Michael Kertesz, eine der größten Kanonen aus dem Donaureich, zeigt, daß er reich an Einfällen, stark in der bildlichen Durcharbeitung ist, daß ihm aber anscheinend jedes Gefühl für das Publikumwirksame fehlt.

Vom geschäftlichen Standpunkt aus betrachtet kommt eben noch erschwerend hinzu, daß beide Teile an einem Abend gespielt werden müssen. Man verlängert sich das Programm, muß höhere Leihmiete zahlen und enttäuscht das Publikum.

Warum übrigens die Zensur diese merkwürdige Verfügung getroffen hat, ist unverständlich. Irgendwelche Schädigungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sind bei diesem Werk ebensowenig zu erwarten wie etwa irgendeine Einwirkung auf die Moral.

In Amerika hat das Werk übrigens den gleichen Mißerfolg.

Unter den Darstellern ragt Lucie Doraine hervor, eine Frau, die immer hübsch aussieht und Temperament zeigt.

Michael Varkonyi sieht als Mönch reichlich weltlich aus. Er verleugnet auch in der Kutte den Bonvivant nicht, während John Harper, Vater und Sohn, von Georg Reimers und Walter Slezak so gut dargestellt werden, wie es im Rahmen dieses Manuskriptes möglich ist.

Bei der Premiere mischte sich in den schwachen Beifall starkes Zischen und Pfeifen.

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