Im Kreise der Lieben

Deutschland 1990/1991 Spielfilm

Im Kreise der Lieben



Conny E. Voester, epd Film, Nr. 1, Januar 1992


In einem stillen, grünen Tal weidet eine Schafherde. Doch so grün es auch sein mag, so ist es gewiß nicht still. Kaum hat man registriert, daß irgend etwas an dieser Idylle nicht stimmen kann (der Himmel ist zu grau, und keine Sonne wärmt die Szene), braust ein Intercity auf der Brücke hinter den Schafen vorbei. Umschnitt. Mit einer Rasierklinge öffnet Maria ihre Pulsadern – aber: sie schneidet quer zur Ader, sie wird schnell entdeckt, sinkt ohnmächtig in die Arme dessen, der ihr im nächsten Bild üppige Geldbündel schenkt und dafür von ihr gesagt bekommt, sie liebe ihn. Als Leitmotiv ist dazu im Off eine Auswahl jener Kleinanzeigen-Lyrik zu hören, mit der Kontakt suchende Herrn ihre Traumfrau beschreiben: "Streichholz sucht schlanke Kerze, um Licht in das graue Leben zu bringen." Das ist das Thema: Projektionen.

So fulminant – temporeich und lakonisch knapp – beginnt Hermine Huntgeburth ihren Debütfilm "Im Kreise der Lieben". Die Vorspann-Titel sind unterschnitten mit kurzen Sequenzen vom "Familienleben" der Familie Grund: Großmutter Emmi Grund (Ruth Hellberg) verwaltet die Finanzen und den Haushalt, Mutter Gertrud (Karin Baal) verbringt die meiste Zeit damit, ihre Sehnsucht nach einem männlichen Gespielen entweder zu sublimieren oder auszuleben, und Tochter Maria (Barbara Auer) schafft das nötige Kleingeld heran. Sie arbeitet freiberuflich, ist professionelle Heiratsschwindlerin. Das Zentrum bildet also eine Frauen-Gemeinschaft, die freilich hochneurotisch ist und im übrigen so wenig matriarchal organisiert wie der Rest der Welt. Warum sollte es bei den Grunds auch anders zugehen als bei den A bis Zs? Wo sich doch, ungeachtet geschlechtlicher Zuordnungen, hier wie da menschliche Beziehungen auf Abhängigkeit gründen. Hermine Huntgeburth beschreibt die Verhältnisse zwischen den Frauen und deren Bezug zur Umwelt als Gewaltverhältnisse. Da wird keiner und keine geschont. Noch die verzweifeltsten Gesten werden als Taschenspielertrick im Gewirr emotionaler Verstrickungen entziffert. Unbestechlich und doch nicht unbeteiligt bleibt die Perspektive der Regisseurin, die gleichermaßen arglos wie verschmitzt dem Treiben ihrer exzellenten Schauspielerinnen zuschaut.

In "Im Kreise der Lieben" entwickelt die Filmemacherin ein psychologisches Muster, das der bitter-komischen Formel vom doublebind folgt und sich dramaturgisch die Freiheiten eines Kartenspiels nimmt. Eine Karte/ Figur bleibt so lange im Spiel, wie sie den Kombinationsmöglichkeiten und dem Kalkül nützt. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Bewegungen und Folgerungen von Personen und Handlung läßt Hermine Huntgeburth in der Montage (Schnitt: Renate Merck) als Parallelhandlung oder Kontrast stehen, um sie entweder zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzugreifen und wie ein Rätsel aufzulösen oder simultan fortzuführen. Es dauert eine spannende Weile, bis klar wird, daß die Tochter Maria alias Marion alias Marina alias Monika ein multiples Rollenspiel vorführt. Virtuos verwandelt sie sich gemäß den Erwartungen des jeweils Heiratswilligen in eine biedere Angestellte, eine perfekt gestylte Karrierefrau oder eine blasse Studentin. Die Wohnung dient ihr dabei als Stützpunkt und Refugium. Hier wird sie von der Mutter für die jeweilige Maskerade kosmetisch präpariert, und hierhin zieht sie sich zurück, um sich beim Rommee-Spiel mit Mutter und Großmutter vom anstrengenden Männer-Programm zu erholen. Der Erhalt dieses männerfreien Schutzraums ist oberstes Gebot.

Indes – Gefährdungen gibt es mehr als genug. Nicht nur, daß der Vermieter seine Immobilie verkaufen will und ständig Einlaß: für sich und Besichtigungsgruppen begehrt, auch gerät in puncto Männerbesuche die Tochter Maria mit der Mutter Gertrud in heftige Interessenskonflikte, und zu allem Überfluß haben es schließlich zwei der geprellten Freier geschafft, in die Bastion einzudringen: der eine mit der Absicht, die Schmach zu rächen, daß er, selbst Heiratsschwindler, einer ebenbürtigen Gegenspielerin fast auf den Leim gegangen wäre, und der andere, weil er so hartnäckig sein masochistisches Programm abspult, daß er sogar der ultimativen Forderung Folge leistet, zu der sich Maria dickköpfig versteigt: „Schlaf mit meiner Mutter. Danach laß ich wieder mit mir reden." Danach freilich sieht sowieso alles anders aus: Kaum eingedrungen, bedient er auch schon den Tele-Commander.

Irgendwann hat jedoch auch sein Stündlein geschlagen: am Schluß liegt er als Mumie nach allen Regeln der Kosmetik einbalsamiert im Keller. Bei all denen, die sich, wie er, so weit vorgewagt haben – zu weit. Mit ihrem Humor, schwarzem Humor, vermag Hermine Huntgeburth die Beseitigung der Eindringlinge dramatisch als Explosionsmoment zu inszenieren und trotzdem beiläufig und unspektakulär zu bleiben. Ihre Aufmerksamkeit ist aufs vermeintlich Nebensächliche gerichtet, auf kleine Gesten und den Mikrokosmos des Alltags. Deshalb kann sie sich extreme Überzeichnungen leisten und bösartige Seitenhiebe, ohne deshalb tumbe Harne aufhäufen zu müssen. Sie setzt, zu Recht, auf die Kombination von Intelligenz und Vergnügen.

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