Berlin is in Germany

Deutschland 2000/2001 Spielfilm

Berlin is in Germany

Wie ein Ex-Knacki die Wiedervereinigung im Zeitraffer erlebt



Martina Knoben, epd Film, Nr. 11, November 2001


"Der letzte Ossi", so hat eine Boulevardzeitung Martins Geschichte überschrieben. Und tatsächlich wirkt er wie steckengeblieben in der Zeit – mit seinem DDR-Geld und seinem tragbaren DDR-Fernseher, auch Martins Umgangsformen und Russischkenntnisse stammen aus einem anderen, vergangenen Deutschland. Wende und Wiedervereinigung hat er nur im Fernsehen erlebt. Jetzt wird Martin entlassen, nach elf Jahren Haft.

Wie lang es die DDR schon nicht mehr gibt! Das fällt einem bei diesem sympathischen, braven Film auf, der als kleines Fernsehspiel konzipiert war und nicht unbedingt ins Kino hätte kommen müssen. In ein merkwürdiges grünes Licht ist die DDR am Anfang getaucht. Die Deutsche Demokratische Republik, das sind Bilder aus einem Gefängnis, so irreal, als sei die DDR schon fast nicht mehr wahr. Die Zeit der Haft wirkt wie ein Tunnel. Plötzlich ist Martin draußen, entlassen an einen unspektakulär freundlichen Sommertag. Jetzt erfährt er die Wiedervereinigung quasi im Zeit-raffer. Der alte blaue Personalausweis taugt nun fürs Museum, genauso sein ehemaliger Führerschein. Und aus seinem DDR-Geld bastelt Martin Papierflieger. Sein Sohn Rokko ist jetzt elf, aber Martin hat sein Kind noch nie gesehen. So viel verpasstes Leben könnte einen ganz schwindlig machen.

Die Ausgangsidee für den Film ist faszinierend. Schließlich war die Wende für viele Menschen tatsächlich ein so unfassbares Ereignis, dass sie erst Jahre später gefühlte Wirklichkeit wurde. Wie überfahren sich viele vom Lauf der Geschichte fühlten, zeigt auch die Tatsache, dass nach der Einheit so wenig Filme darüber gemacht wurden. In einigen dieser Wende-Filme kommt es auch vor, dass die sonst gleichmäßig fließende Zeit plötzlich ins Stocken gerät: in Leander Haußmanns "Sonnenallee" zum Beispiel oder in Margarethe von Trottas "Versprechen". Da kriecht die Zeit oder wird ganz eingefroren. Für Martin in "Berlin is in Germany" dauert dieser Zeittunnel ganze elf Jahre.

Der Schwindel, der den unzeitgemäßen "Ossi" erfassen könnte, wenn nun sein (Nicht)Erleben und die realen Veränderungen aufeinanderstoßen, bleibt Martin allerdings weitgehend erspart. Zwar kommt er in seinem neuen Leben immer wieder ins Stolpern, dennoch aber hat man den Eindruck, dass Martin mit beiden Beinen auf dem Boden und im Leben steht, so patent spielt Jörg Schüttauf den Mann, und mit dem Atmosphärischen tut sich Regisseur Hannes Stöhr noch schwer. Es gibt kaum originelle Ideen, die die ungeheuren Veränderungen fühlbar machen, denen Martin nach seiner Entlassung ausgesetzt ist. Dabei wäre seine Geschichte die ideale Vorlage für eine Bilanz nach zehn Jahren Einheit: Was fällt einem Außenstehenden an diesem neuen Deutschland auf?

Die typischen "Ost-Probleme" aber werden wenig einfallsreich wie ein Pflichtprogramm an Martins Freunden abgehandelt. Einen alten Kumpel kann er gerade noch davon abbringen vom Dach zu springen; er schildert Martin dann seinen sozialen Abstieg nach der Wende. Ein anderer Freund – er ist Ausländer – wird von Skins übel beschimpft. Nur Martin hat seinen Stolz und seine Würde bewahrt. Und seinen proletarischen Charme, dem auch seine Exfrau Manuela kaum widerstehen kann.

Julia Jäger spielt Manuela, und es ist immer wieder eine Freude, sie in einem Film zu sehen. Ihre Manuela ist eine warmherzige, nicht gleich berechenbare Frau. Sie muss sich sehr verändert haben in den vergangenen elf Jahren, mit den Wessi-Spielregeln kommt sie jedenfalls gut klar. Und es ist anrührend und spannend zu sehen, wie sie Martin zögernd und fast gegen ihren Willen doch wieder in ihr Leben lässt. Ihrem neuen Freund Wolfgang – er ist Schwabe – gefällt das gar nicht.

Stöhr nennt "Berlin is in Germany" ein Märchen, und dass das so ist, ist vor allem Manuela zu verdanken. Aber auch Martin ist ein fast schon märchenhaft netter Kerl. Das ist einerseits angenehm, einmal keine Elendsgestalten aus dem Osten zu sehen, lässt Martin aber kaum Spielraum für seine Entwicklung. Ärgerlich ist auch die anklingende Kiez-Romantik: Martins ehemalige Knast-Kumpane haben alle ein Herz aus Gold oder zumindest eine große Portion Ehrgefühl.

"Berlin is in Germany" ist Stöhrs Abschlussfilm an der Berliner Filmhochschule dffb. Der junge Regisseur, der selbst übrigens nicht aus der DDR kommt, hatte aus dem Stoff zuvor einen Kurzfilm gemacht, und man kann sich vorstellen, dass er vielleicht Probleme hatte, die Langstrecke in den Griff zu kriegen. Mit der wunderbaren Vorlage, die der Gefängnisaufenthalt ihm bietet, kann Stöhr jedenfalls nicht allzuviel anfangen. So ist der Film zwar sympathisch und für einen Filmhochschulfilm gar nicht schlecht – er ist aber vor allem auch eine verpasste Chance.


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