Das Luftschiff

DDR 1982/1983 Spielfilm

Das ausgeschüttete Füllhorn


Fred Gehler, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 5, 1983


Der Film muß vor unbilligen Vorwürfen und unstimmigen Etiketts in Schutz genommen werden. Vor einem vor allem, das ihm Anfang des Jahres in Dresden aufgeklebt wurde; Er habe alle Konventionen über Bord geworfen. Umgekehrt wird wohl ein Schuh daraus. "Das Luftschiff" ist ein Besinnen auf Dinge, die Film erst ausmachen, in seiner Urform und in seiner Fortentwicklung. Hier wird sich eingelassen mit den Grundkonventionen des filmischen Mediums. Es trat bekanntlich an unter der Parole der "von nichts beschränkten Möglichkeit". "Alles ist möglich": das war die ursprüngliche Weltanschauung des Kinos. Oder auch: Alles ist wahr und wirklich, alles ist gleich wahr und wirklich.

In seinen 1913 niedergeschriebenen Gedanken zu einer Ästhetik des Kinos formuliert es Georg Lukács so: "So entsteht im Kino eine neue, homogene und harmonische, einheitliche und abwechslungsreiche Welt, der in den Welten der Dichtkunst und des Lebens ungefähr das Märchen und der Traum entsprechen: größte Lebendigkeit ohne eine innere dritte Dimension: suggestive Verknüpfung durch bloße Folge, strenge, naturgebundene Wirklichkeit und äußerste Phantastik …"

Lukacs betont ausdrücklich, die Lebendigkeit des Films sei "keineswegs an Inhalt und Grenzen des gewöhnlichen Lebens gebunden." (…)


Sehen wir uns einige dieser Blumen des Phantastischen genauer an. Zum Beispiel das Mittel der "Non Camera-Animation" (Autor: Lutz Dammbeck), bislang zumeist nur in Experimentalfilmen erprobt. Eine unmittelbar auf den Filmstreifen übertragene Verdichtung von Gefühlen und Gedanken. Ströme von Ideen in eine graphische Kurzform gebracht: die große Utopie vom Fliegen, die übersteigerte Projektion des eigenen Ichs. Eine sphärische Dimension schwillt an. Der Mensch stößt zu den Feuerschlünden vor. Ein Vorstoß, der zugleich seine eigene Existenz aufs höchste gefährdet. Eine zerbrechliche Balance des Menschseins. So ist die Utopie zwangsläufig begleitet von schwarzen Gedanken, von Figurationen der Ängste. Das schöpferische Element bleibt nicht rein, es wird mißbraucht, mißdeutet, ja in sein Gegenteil verkehrt. Das Mittel der "Non Camera" wird gleich im Prolog des Films intoniert, kommt insgesamt viermal logisch und zwingend zum Einsatz, um dann aber nach einem Drittel des Films völlig aus ihm zu verschwinden. Ursprünglich gedachte Erweiterungen und Fortsetzungen wurden fallengelassen, aus der – wie mir dünkt – höchst irrigen Annahme, die künstlerische Figur des Erfinders Stannebein werde bei einem Zuviel versehrt (obwohl dieses Element keineswegs an eine bestimmte Figur des Films gebunden ist, sich nicht nur von ihr entäußern kann. Es ist primär Autorenelement, eigener künstlerischer Reflex!). Verletzt wird dafür jetzt in der Gesamtheit des Films die strukturelle Einheit, die Balance der unterschiedlichen Elemente. In ähnlicher Weise unharmonisch werden auch die Tagträume des Jungen Chico eingesetzt. Es stimmt die Grundkonvention: ein ungewöhnlich phantasiebegabtes Kind führt so seinen optisch-geistigen Dialog mit den zurückliegenden Ereignissen, es erheischt Auskunft: Was wäre wenn? Was hätte geschehen können? Es macht sich seine Legende von seinem Großvater. Immer, wenn die Bilder auf den Großvatermythos bezogen bleiben, ist für mich die optisch-emotionale Stimmigkeit optimal. Umstrittener schon die Ausweitung der Chico-Visionen zu apokalyptischen Endzeittraumoto. (…)

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