Stärker als die Nacht

DDR 1954 Spielfilm

Stärker als die Nacht


Klaus Wischnewski, Deutsche Filmkunst, Berlin/DDR, Nr. 6, 1954


(…) Dieser Film enthält Bilder, die mit bezwingender Kraft der Idee des Filmes dienen, Bilder, in denen die ganze Anklage gegen den Faschismus und die menschliche Größe seiner Gegner eingefangen sind. Das beste Beispiel dafür sind drei Szenen aus dem Konzentrationslager: Ein Kunstwerk für sich – ohne sich dabei im Film zu verselbständigen! – ist der Zug der Häftlinge ins Moor, die endlose Reihe der Menschen, begleitet von SS-Wächtern und Bluthunden, vor einem grau verschwimmenden Hintergrund, in den sich drohend die Schatten mehrerer Wächter mit aufragenden Bajonetten abzeichnen; leidenschaftlich beredt ist die Kamera in der von den Autoren tief durchdachten Szene mit dem Appellplatz, in der der Freiheitsgeist der Häftlinge in dem Blick nach den Zugvögeln über die Schlächtergarde der SS triumphiert; und schließlich ist die Szene des Winterabends in der KZ-Baracke mit dem Lied der Moorsoldaten unübertrefflich in Atmosphäre und optischem Ausdruck.


Die Dramatik der einzelnen Szenen wird von der Kamera durch kluge und organische, völlig unaufdringliche Schwenkungen unterstützt. Man erinnere sich der Einstellungen in den Verhörszenen im Polizeipräsidium, der Schwenkungen vom Kommissar zu Löning bzw. Bachmann und der Komposition des Bildes: Löning – flankiert von zwei SA-Schlägern.

Das Einfangen der unverwechselbaren historischen und landschaftlichen Atmosphäre der Welt, in der diese Menschen leben, diese Situationen sich ergeben, wird noch oft vernachlässigt. Karl Plintzner und Horst Brandt haben auch diese unentbehrliche Seite des Films berücksichtigt und diese Aufgabe weitgehend gelöst. Daran haben Bauten und Kostüme natürlich starken Anteil. Zwei Einschränkungen sind allerdings notwendig: Man kann nur freudig zustimmen, wenn die Schöpfer des Films sich von dem allzu einfachen Weg der Darstellung sozialen Elends als Milieu und Motiv des kommunistischen Arbeiters abwenden. Aber Lönings Wohnung ist einfach zu kinoschön, steht im Widerspruch zu Straße und Haus, die deutlich in einem Arbeiterviertel liegen. Ferner – und ich führe das auf die Gefahr hin an, kleinlich gescholten zu werden: Die Treue der historischen Umgebung, die ein wesentlicher Faktor der Überzeugungskraft des Bildes und des Films ist, besonders wenn diese Umgebung den Zuschauer aus eigenem Erleben bekannt ist, wird gestört, wenn 1940 oder 1944 braune SA- und schwarze SS-Uniformen herumlaufen. Damals beherrschten Waffen-SS, SD und Wehrmacht die Straßen, die SS trug graue Uniformen, und der wildgewordene Spießer trug statt Braun das kriegerische Graublau des Luftschutzhäuptlings. Wir sollten die Bedeutung solcher Kleinigkeiten in der Gesamtwirkung auf den Zuschauer nicht so großzügig unterschätzen.



Eine weitere Einschränkung sei angeführt: Slatan Dudow und Plintzner bevorzugen bei Löning im Gespräch häufig die Großaufnahme, bei der der Zuschauer zum Gesprächspartner wird. Das geschieht vor allem dort, wo Löning Aussagen allgemeiner politischer Bedeutung macht. Nun läßt die literarische Qualität des Dialogs gerade an diesen Stellen zu wünschen übrig. Die stark agitatorische Funktion und die sehr direkte, allgemeine Formulierung der im Inhalt richtigen Thesen wird durch die Großaufnahme und die Ansprache an den Zuschauer so verdeutlicht, daß die vom unmittelbaren Erlebnis geweckte Aufnahmebereitschaft des Zuschauers gestört werden kann. Der Zuschauer reagiert dort aktiv, zum Teil mit lauten Kommentaren, wo ihm keine Thesen und Erkenntnisse gesagt, sondern er durch das künstlerisch gestaltete menschliche Schicksal zu ihnen geführt wird, zum Beispiel bei Nohl oder bei den Globigs. Hier bleibt er stumm. Ganz sicher ist diese Art der Großaufnahme in Maßen grundsätzlich richtig und möglich – das verlangt aber das dichterische Wort, sonst wird die Leinwand unnötig zum Podium, selbst bei einer so hervorragenden Gestaltung wie der Wilhelm Koch-Hooges.

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