Verschwende deine Jugend

Deutschland 2002/2003 Spielfilm

Verschwende deine Jugend


Horst Peter Koll, film-dienst, Nr.14, 01.07.2003

Der Filmtitel weckt hohe Erwartungen: Zum einen erinnert er an den gleichnamigen Song von DAF, jener Kult gewordenen Punk-Band aus Düsseldorf, der „Deutsch Amerikanischen Freundschaft“, die damit Anfang der 1980er-Jahre ein Programm, ja eine Art Lebensdevise verkündete; zum anderen denkt man zwangsläufig an Jürgen Teipels gleichnamigen Doku-Roman (2001), der auf ebenso schillernde wie authentische Weise die Genese des Punk-Rock, seinen Niedergang wie seine Weiterentwicklung zum New Wave (durch die Protagonisten des Punk) nachzeichnete. Teipel fungierte dabei als eine Art „literarischer Cutter“, dem in der Zusammenfügung zahlloser Aussagen und Erinnerungen eine packende Rekonstruktion gelang, die zugleich Inhalte wie Formen jener Musik spiegelte. Sein faszinierender literarischer Ansatz findet in Benjamin Quabecks Film keinerlei Entsprechung: keine gedankliche Differenziertheit, kein musiktheoretischer Ansatz, keine zynische Analyse einer zeitgeistigen Musik-, Geschäfts- und Lebensform, keine Entlarvung einer Haltung als pure Pose im Angesicht von Orientierungslosigkeit und Verzweiflung.

Und DAF? Nun, DAF spielt in dem Film durchaus eine handlungstragende Rolle: Gabi Delgado und Robert Görl tauchen als Protagonisten auf, doch von Delgados einstiger Bedeutung als Agitator und politischem Radikaldenker ist so gut wie nichts geblieben: Was sich in träger Lässigkeit und skurriler „Altersweisheit“ darstellt, ist nur noch der sanfte Verwalter seiner eigenen Historie, der in diesem Jahr noch einmal eine CD auf den Markt brachte und hier die Gelegenheit zur werbewirksamen Promotion nutzt.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der 19-jährige Harry, der im Sommer 1980 in sein verschlafenes Heimat-“Dorf“ München zurückkehrt, um es für jene neue Musik zu wecken, die in den anderen Metropolen der Republik längst für Furore sorgt. Endlich, so kommentiert Harry aus dem Off, war man erlöst vom bösen Leben in den 1970ern, brachte eine neue, harte, schnelle Musik mit deutschen Texten die Befreiung. Während Harry tagsüber in einer Sparkasse jobbt, mutiert er in seiner Freizeit zum engagierten Manager der Band „Apollo Schwabing“, die den dornenreichen Weg der Ruhmlosigkeit durchschreitet, verhöhnt und verspottet wird. Harry aber glaubt felsenfest daran, dass das Trio um den Sänger und Gitarristen Vince und dessen Freundin, die stoische Bassistin Melitta, eine große Zukunft hat; doch eine wirklich überzeugende, professionelle Vermarktung bringt der zierliche, im Grunde arg schüchterne und in jeder Hinsicht viel zu unerfahrene Junge nicht zustande.

So geht zunächst alles schief, was nur schief gehen kann. Der Abstieg führt in immer bodenlosere Gefilde; für eine abhanden gekommene Bassgitarre muss sogar per Diebstahl Ersatz besorgt werden. Doch Harry hat einen Traum, eine Vision, und mag er auch in vielen alltäglichen (Liebes-)Dingen seines jungen Daseins scheitern und versagen: Alles, wirklich alles tut er für ein frech angekündigtes Konzert im Circus Krone, das die Münchner Lokalbands im Schatten des Haupt-Gigs bekannt machen soll: DAF kommt nach München! Es bedarf zahlreicher Verrenkungen und Zufälle, bis Harry die berühmte Band dann im Nachhinein wirklich engagieren kann, womit das Scheitern des gewagten Unternehmens aber noch nicht ausgeschlossen ist. „Mein Konzept heißt kein Konzept“, lautet Harry Devise, und an der richtet er sich zu ungeahntem Mut und Selbstbewusstein auf.

So entdeckt das deutsche Kino die 1980er-Jahre als modischen Retro-Schick: die „Neue deutsche Welle“ als trendiges Zeitkolorit, das weniger rekapituliert und analysiert wird als dass es einen neuen, gegenwartstauglichen Look kreiert. Hinter der zeitspezifischen Ausstattung offenbart sich derweil kaum etwas Neues; jugendliche Themen von Aufstieg, Selbstfindung und erster Liebe recyceln sich aus einschlägig vertrauten Versatzstücken – die Jungen leben ihre Träume, setzen sich gegen Widerstände, Probleme und Rückschläge durch, wobei Politik „out“ ist und damit zugleich kompatibel wird für die heutige Politikverdrossenheit. Rüstungswahn und NATO-Doppelbeschluss, „Stoppt Strauß“-Anstecker und Palästinensertuch versus Palais Schaumburg, Wirtschaftswunder, Fehlfarben und Deutsch Amerikanische Freundschaft – identitätsstiftende Musik statt kämpferische Jugendrevolte. Allenfalls kurios sind die Rückblicke in eine Zeit, in der es noch keine Handys und CDs gab, was für manchen unschuldigen Lacher taugt.

Gewiss: Die flotte, nicht verbrauchte Ausstrahlung von jungen (guten) Darstellern wie Tom Schilling, Robert Stadlober und Jessica Schwarz ist immer noch tragfähig, wobei freilich in einigen wenigen vielversprechenden Ansätzen aufscheint, was aus dem Zusammenspiel des Paares Stadlober/Schwarz wirklich hätte werden können, wenn sich deren Potenzial nicht dem flotten Flair der filmischen Unterhaltung hätte unterwerfen müssen. Quabecks inszenatorischer Überblick ist ebenfalls bemerkenswert, wie auch die gesamte Produktion wirkungsvolle Professionalität ausstrahlt; doch mehr als redliches, leider aber auch hausbackenes Jugendkino mit den üblichen Sujets ist „Verschwende Deine Jugend“ nicht geworden. Und ob die neuen Songs von Apollo Schwabing die brave Geschichte tragen, darf getrost bezweifelt werden.

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