Luther

Deutschland 2002/2003 Spielfilm

Das Wunder von Wittenberg

Der große Erfolg des Luther-Films


Rudolf Worschech, epd Film, Nr.2, 03.02.2004

Der Film "Luther" von Eric Till hat die stolze Zahl von zweieinhalb Millionen Besuchern an den bundesdeutschen Kinokassen erreicht. Damit ist die deutsch-amerikanische Co-Produktion zu einem der Überraschungshits dieses Kinojahres geworden.

Der Film "Luther" hatte seit seinem Start am 30. Oktober, dem Reformationstag, ein durchaus kritisches, aber gewaltiges Medienecho. Unabhängig von den Filmkritiken in Tageszeitungen und Zeitschriften war der Film Anlass, die Figur des Reformators ebenso wie frühere Verfilmungen seiner Vita (in beiden deutschen Staaten) vorzustellen. Sicher ist es auch einer gezielten Kampagne innerhalb der binnenkirchlichen Öffentlichkeit, aber auch pädagogischen Aktivitäten an den Schulen zu verdanken, dass der Film mehr Besucher hat als evangelische Gläubige an einem Sonntag den Gottesdienst besuchen. Allerdings wirft der Film auch unter Kirchenleuten Fragen auf – Werner Schneider-Quindeau, der Filmbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), vermisst an "Luther" den spirituellen Zusammenhang: "Alles Normative, das dem Glauben der Einzelnen, vermittelt durch die kirchliche Gemeinschaft, vor- und aufgegeben ist, wie beispielsweise die Bedeutung von Bibel und Bekenntnis, wird zur Randerscheinung."

Aber Konfirmandengruppen und Schulklassen machen nur einen Teil des Publikums aus. Dem Film ist es gelungen, vergleichbar mit ähnlichen Überraschungshits im Arthouse-Bereich wie "Die fabelhafte Welt der Amélie", ein Publikum zu mobilisieren, das sonst nicht ins Kino geht. Gerade Besucher jenseits der klassischen Altersschwelle von 25 bis 30 Jahren, ab der der Kinobesuch statistisch schlagartig nachlässt, machen einen Großteil der Zuschauer dieses Films aus. "Es sind Leute dabei, die die Figur Luthers schon kennen, aber jetzt neugierig auf das Bild sind, das der Film im Kino vermittelt", sagt Alexander Thies, der Geschäftsführer von NFP teleart, die den Film in die Kinos brachte.

Das soll nicht heißen, dass der Film keine jugendlichen Besucher anzieht. Besetzt mit dem sympathisch wirkenden Joseph Fiennes, den man noch aus "Shakespeare in Love" kennt, liefert der Film einen historischen Bilderbogen der wichtigsten Lebensstationen des Reformators von seiner Entscheidung, Mönch zu werden, über den berühmten Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche bis hin zum Reichstag zu Worms. Die entscheidende Neuerung dieses Films ist die Modernisierung seines Helden. Joseph Fiennes sieht nicht aus wie der beleibte Prediger, den man von den Cranach-Porträts oder auch aus vergangenen Verfilmungen (zum Beispiel "Luther" von Irving Pichel aus dem Jahr 1953) kennt. Das kann zu Beginn durchaus zu Irritationen führen, aber: Der Film nimmt sich die Freiheit, die Persönlichkeit des (ehemaligen) Augustinermönchs gegen die Überlieferung zu bürsten. "Luther" wirkt viel zögerlicher, selbstzweifelnder, aber auch leidenschaftlicher als wir ihn bisher kennen, mehr eine Hamlet-Figur denn ein Tatmensch oder ein Gelehrter.

"Luther" korrespondiert sicherlich mit einem neu erwachten Interesse an historischen Themen zur deutschen Geschichte, das im Kino in den letzten Jahren virulent war. In "Das Wunder von Bern" versuchte Sönke Wortmann sich an so etwas wie an "Birth of a Nation" der Bundesrepublik, wenn er den Sieg der Nationalmannschaft 1954 als identitätsstiftendes Movens, national wie privat, in Szene setzt. Margarethe von Trotta widmete sich in ihrem doch achtbaren Film "Rosenstrasse" dem Ungehorsam von Frauen während der Nazi-Zeit. In "Herr Lehmann" rekonstruierte Leander Haussmann die Kreuzberger Szene vor der Wende, und auch Hendrik Handloegtens "Liegen lernen" war ein Spaziergang durch zwei Jahrzehnte deutscher Geschichte.

Daneben erzählt der "Luther"-Film von Zivilcourage, von der Auflehnung gegen Autoritäten. In der Interpretation von Eric Till und Joseph Fiennes wird Luther zu einem Rebell im Mönchsgewand. Damit könnte er auch einem sehr gegenwärtigen Unbehagen an etablierten Institutionen entsprechen. Der Film erzeugt, wenn man so will, ein Gefühl des Aufgehobenseins im Protest des Einzelnen. Luther, wie er in dem Film dargestellt wird, steht am Anfang des Prozesses der Herausbildung des Menschen als Individuum", sagt Schneider-Quindeau. "Der Einzelne steht gegen scheinbar übermächtige Institutionen, die als machtgierig, korrupt und verlogen gelten. Auch der Lutherfilm bezieht aus dieser Spannung zwischen persönlicher Authentizität und institutioneller Unglaubwürdigkeit seine populäre Wirkung."

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