Sonnensucher

DDR 1957/1958 Spielfilm

Humangenetik und Wismuterz


Hans-Dieter Tok, Wochenpost, Berlin/DDR, Nr. 39, 22.9.1972


Es ist sicher nur Zufall, daß zum Zeitpunkt der "Januskopf"-Premiere ein älterer Film von Konrad Wolf in die Kinos gelangt, der in den schwierigen Anbeginn jener Freundschaft schaut, deren heutiger Alltäglichkeit und Größe Kurt Maetzig Ausdruck zu verleihen versuchte. Es ist der Film "Sonnensucher", vor fünfzehn Jahren gedreht, kürzlich im Fernsehen erfolgreich erstaufgeführt. Ein antiquierter, ein gestriger Film also? Keineswegs, vielmehr ein erregendes geistiges Vergnügen, eine erlebnisreiche Begegnung mit einer Zeit, die für viele unendlich weit, in Wahrheit 20 Jahre, zurückliegt.

Den "Sonnensuchern" gingen "Genesung" und "Lissy" voraus, es folgten u. a. "Sterne", "Professor Mamlock", "Ich war neunzehn" – Filme, in denen Wolf sein Grundanliegen abhandelt: Er meditiert über die gesellschaftlich wie subjektiv notwendige Entscheidung des Menschen für den Fortschritt, er spürt den oft konfliktgeladenen Bewußtseinsprozessen dieses Anderswerdens nach. In "Sonnensucher"" ist es das Mädchen Lutz, einst gedemütigte Bauernmagd, die im Schmelztiegel Wismut zu sich und in die neue Zeit findet, in jenes Kollektiv bewußter Menschen, die ihr das Gepräge verleihen. Dies sind Jupp König, der kampferprobte Kommunist und baldige Parteisekretär, Sergej Melnikow, der umsichtige sowjetische Ingenieur, aber auch Franz Beier, ehemaliger SS-Mann, der als verbitterter Obersteiger diese seine Vergangenheit bewältigt. Jahre des Neubeginns kommen ins Bild, hart, unbeschönigt; die Veränderung des Menschen unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen wird anvisiert, in all ihrem Konfliktreichtum, ihrer Lebensfülle, auch ihrer Heiterkeit

Zwei Themenkreisen widmen sich Karl-Georg Egel und Paul Wiens, die Drehbuchautoren, dabei vornehmlich. Sie schildern das komplizierte Werden deutsch-sowjetischer Freundschaft, verfolgen, wie aus Vorurteilen und Mißtrauen durch das unabänderliche Muß, das die für die Lebenskraft des Sozialismus so bitter notwendige Uranförderung darstellt, Vertrauen und Freundschaft erwachsen, wie Oberst Fedossjew, der Grubendirektor, und sein Ingenieur Melnikow gemeinsam mit deutschen Kommunisten das chaotisch zusammengewürfelte Wismut-Völkchen politisch und moralisch zu formen beginnen. Andererseits wird so sichtbar, wie die Arbeiterklasse in unserem Land lernte, ihre Macht zu ergreifen, auszuüben, sich im Bund mit treuen Freunden selbst zu erziehen und zu befähigen. Dieser vielschichtige, keineswegs widerspruchsfreie Prozeß wird nicht lehrhaft oder moralisierend erfaßt, sondern in individuellen Geschicken, in lebensvollen Charakteren, in bewegenden Geschichten. Die unmittelbaren Bezüge zwischen Individuums und Gesellschaft, zwischen Erfordernissen der Zeit und bewußtem Handeln teilen sich dabei ebenso zwangsläufig und überzeugend mit wie das nunmehrige neue Verhältnis von Mensch, und Arbeit.

Dabei ist der Film nirgendwo vordergründig auf den Dialog bedacht. Er ist konsequent filmisch, lebt von Werner Bergmanns ausdrucksreicher und vielfältiger Bildsprache, deren Expressivität heute zwar etwas angejahrt erscheint, die aber ein Musterbeispiel darstellt, wie das bewegte Bild den Menschen, sein Milieu, die Atmosphäre seiner Umwelt lebenswahr und kunstvoll zugleich widerzuspiegeln vermag. Ein Musterbeispiel ist diese Kameraführung aber auch dafür, wie schauspielerische Glanzleistungen durch einen den Stoff vertiefenden und deutenden Bildstil in all ihren Dimensionen zu wirken imstande sind.

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