Carmen

Deutschland 1918 Spielfilm

Carmen


C. B., Der Film, Nr. 52, 28.12.1918


Es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß die Union mit ihrem Drama "Carmen", welches seine Uraufführung vor geladenen Gästen am vergangenen Donnerstag im Unionpalast am Kurfürstendamm erfuhr, ihr Meisterwerk, und zugleich den besten deutschen Film geschaffen hat. Es ist wohl das erste Mal, daß man einen Film sich entrollen sah, an dem man zur eigenen Freude nichts, aber auch nichts auszusetzen fand, sondern der vielmehr einen durch keinen Mangel beeinträchtigten tiefen Eindruck hervorrief. Die Projektions-Aktiengesellschaft "Union" hat mit diesem Werke einen Film geschaffen, welcher der deutschen Kinematographie einen ersten Platz auf dem Weltmarkte erzwingt und bewiesen, daß das, was viele Fachleute und besonders Regisseure schon oft betonten, tatsächlich der Fall ist: daß wir, sofern wir nur vom richtigen Gesichtspunkte aus arbeiten, dasselbe, ja vielleicht noch Besseres zu leisten imstande sind als unsere ausländischen Konkurrenten, und daß das Märchen vom schlechten Licht, von den geringeren Eigenschaften der Regisseure, Darsteller und Operateure wirklich nur ein "Märchen" ist.

Ernst Lubitsch ist der Regisseur, welcher diesem Film sein Gepräge, seine Größe und Wucht gab. Mit untrüglichem Blick für das rein Szenische des Filmbildes, für die Bewegung im kleinen wie im großen, für Ausdruck und Geste und dramatisch sprechendes wirkungsvolles Spiel hat er einen Film geschaffen, der – abgesehen von seinen herrlich schönen Bildern, imponierenden Massenszenen und technisch glänzenden Einfällen – vor allem ein dramatisches Erlebnis aus einem Guß darstellt. Ich sehe das wesentliche Können Lubitschs nicht so sehr in der großen Geste, Hunderte oder Tausende von Menschen durcheinander zu wirbeln oder Apotheosen zu stellen, sondern darin, daß er aus einem Einzeldarsteller mimisch, ohne ihn je theatralisch werden zu lassen, das Letzte herausholt – sagen wir: seine Seele. Und das ist der Grund für den tiefen Eindruck, welchen diese an sich ja schon sehr packende Tragödie jetzt als Film ausübt. Noch nie war der Film der Sprechbühne so nahe wie in diesem Werk oder: noch nie ragte der Film so weit über die Sprechbühne hinaus.

Man darf nicht vergessen, daß Lubitsch bei seinen Mitarbeitern eine Unterstützung gefunden hat, wie ich sie jedem Regisseur wünsche. So lieferte .der Verfasser Hans Kräly nach den Motiven von Prosper Merrimé ein Manuskript, welches alle überhaupt nur denkbaren szenischen Möglichkeiten offen ließ. So schuf der bekannte Architekt der Union, Kurt Richter, Innenräume und vor allem Außenarchitekturen einer spanischen Stadt, welche als völlig ungekünstelt Spanien im Bilde erstehen ließen, ohne daß man erst die zur Zeit ja unmögliche Reise dorthin hatte antreten müssen. Diese spanische Stadt ist wohl das Grandioseste, was bisher für den Film gebaut wurde. – Und schließlich sei der musterhaften Photographie Alfred Hansens und auch der kostümlichen Leitung Alex Huberts gedacht, welche ja gerade in Bezug auf das äußere Bild entscheidend einwirkten.

Vor allem aber fand Lubitsch in seinen beiden Hauptdarstellern Persönlichkeiten, welche seine Ideen in greifbare Form umzusetzen vermochten, ohne den Boden echtesten und innerlichsten Lebens zu verlassen. Pola Negri, über deren große Fortschritte als Filmtragödin ich schon in den letzten Monaten mit großer Freude berichtete, hat sich hier mit ihrer Carmen einen der ersten Plätze unter den echten Sternen deutscher Schauspielkunst erobert. Es gebricht ihr weder an Rasse und Temperament, noch an Innigkeit und Empfindung, so daß sie, eine von den wenigen Auserlesenen unter vielen, die Gedankenarbeit von Dichter und Regisseur wahrhaft und greifbar in erschütterndes, echtes Leben umzusetzen vermag. Und der Erfolg des Abends, der in seinen stürmischen von Akt zu Akt sich steigernden Ovationen der Zuschauer an die Glanzerfolge Henny Portens heranreicht, legt beredtes Zeugnis davon ab, daß sie das Herz jedes Zuschauers zu treffen weiß. – Ähnlich Harry Liedtke, der, nun ganz ernster Schauspieler und Tragöde geworden, mit seinem Don Jose eine so reife, so vollends abgerundete, verinnerlichte Figur geschaffen hat wie wohl ein deutscher Filmschauspieler bisher noch nicht. Es würde zu weit führen, alle die einzelnen Leistungen der übrigen Darsteller ausführlich zu besprechen. Jede Figur unter Lubitschs Leitung ist trefflich gelungen: und so seien hier ein Wilhelm Diegelmann, Leopold von Ledebour, eine Grete Diercks, Margarete Kupfer mit Lob und Anerkennung genannt.

Der ganze Film ist ein Erlebnis, ein Ereignis. Und er wird, so hoffe ich, nicht nur den deutschen Film im In- und Auslande würdig und erfolgreich vertreten, sondern auch dem deutschen Filmfabrikanten und dem deutschen Regisseur ein Muster und Vorbild sein.

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