Kubanisch rauchen

Österreich Deutschland 1998 Spielfilm

Kubanisch Rauchen



Raimund Gerz, epd Film, Nr. 9, September 1999


Kubanisch rauchen, so erklärt Paul (Simon Licht), sei das Kunststück, die Asche möglichst lange auf einer Zigarette zu halten und damit den Rauchgenuss zu erhöhen. Der Balanceakt ist eine Metapher für den Schwebezustand, in dem sich die Hauptfiguren in Stephan Wagners Spielfilmdebüt befinden. Paul hat sich beim Vater seiner langjährigen Freundin Eva (Eva Maria Straka) Geld geliehen, um mit Bernd (Thomas Morris) einen Altwarenladen in Wien zu übernehmen. Bernd ist aus seinem Halbweltdasein ausgestiegen, das er zusammen mit dem brutalen Erwin (Wolfgang S. Zechmayer) als Geldeintreiber für seinen väterlichen Freund Dragan (Seymour Cassel) bestritten hatte. Dragan leiht ihm das Startkapital. Ins Rotieren geraten die Verhältnisse, als Paul sich Hals über Kopf in Lisa (Tatjana Alexander) verliebt, die ihrerseits mit einem Piloten liiert ist. Bernds Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln. Erwin erpresst Geld von ihm und hat beide Jungunternehmer schließlich in der Hand, als er Paul zusammen mit Lisa sieht. Paul verprügelt ihn und damit ist die Existenz aller Beteiligten unmittelbar gefährdet. Bernd entschließt sich zu einem finalen Befreiungsschlag ...

Karge Schwarzweißbilder, knappe Dialoge, Gesichter in Nahaufnahme – Stephan Wagner bedient sich einer minimalistischen Ästhetik, um die soziale Situation seiner Figuren und ihre Beziehungen zu verdeutlichen, und die bestehen, wie im richtigen Leben, aus existenziellen Abhängigkeiten und wechselseitigen Rücksichten. Niemand kann so handeln, wie er es für richtig hält. Dem ritualisierten Sonntagskaffee bei den Schwiegereltern in spe kann Paul sich ebenso wenig entziehen wie deren Druck, Eva endlich zu heiraten. Die Konflikte beider Hauptfiguren darf man tragisch im klassischen Sinn nennen: Jede Lösung ist zwangsläufig die falsche. Paul muss entweder seine Liebe aufgeben oder die geschäftliche Existenz, die an die Bürgschaft des zukünftigen Schwiegervaters gekoppelt ist. Bernd kann die Schatten seiner Vergangenheit nur um den Preis eines Verbrechens los werden.

Was hier (melo-)dramatisch klingen mag, ist tatsächlich ein kleiner, bei aller inneren Dynamik ruhiger Film, der seine Atmosphäre zum einen aus seinen differenzierten Schwarzweiß-Schattierungen bezieht, zum anderen aus den glaubwürdig inszenierten Spannungen zwischen den Figuren, die obendrein treffend besetzt sind. Den abgeklärten Gangster Dragan spielt der amerikanische Altstar Seymour Cassel, der sich vor allem als Stammschauspieler bei John Cassavetes einen Namen gemacht hat, und in einer Kleinstrolle ist der große Wiener Theaterschauspieler Leon Askin (* 1907) zu sehen. Regisseur Stephan Wagner, der auch das Drehbuch schrieb, ist der Nachweis gelungen, dass der vielfach totgesagte Autorenfilm durchaus noch am Leben ist. Seine Intention, "einen Ausschnitt der Welt stimmig dar(zu)stellen", hat er, nach eigenem Bekunden, mit dem "Budget eines Kleinwagens" realisiert. Und dafür bekommt der Zuschauer sogar einen ordentlichen Autocrash zu sehen.

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