Die Schuld der Lavinia Morland

Deutschland 1920 Spielfilm

Die Schuld der Lavinia Morland


Der Kinematograph, Nr. 723, 21.11.1920


Vor dem Theater das übliche Bild der May-Premieren. Begeisterte Verehrer und besonders Verehrerinnen pflegen sich stundenlang vor Eröffnung am Billettschalter anzustellen und kämpfen Schlachten um einen Platz. Man könnte den Film ja auch noch an den folgenden Tagen sehen, aber Mia May ist bei der Premiere persönlich anwesend, und eine besonders fanatische Verehrerin erklärte bei Schluß der Vorstellung: "Ich muß sie sehen, und wenn ich auf einen Baum klettern müßte."

Der Erfolg war dementsprechend ein großer, wie immer, aber auch ein wohlverdienter, und der Beifall galt nicht nur Mia May, sondern auch ihren sämtlichen Mitspielenden, sowie nicht zum wenigsten der vorzüglichen Regie Wüllners und Joe Mays, der seinen Film nicht mit Unrecht einen Regie-Meisterfilm nennt.

Joe May hat die Tragödie der armen, reichen Frau, die durch die Verfolgung des brutalen Herrenmenschen, der sie für sein Geld gekauft hat, bis zur Verzweiflungstat gereizt wird, in einen blendenden Rahmen gesteckt: Herrliche Bilder von der Riviera leuchten auf, blaue Golfe mit einem Kranz von Palmen und südlicher Vegetation umgeben elegante Fremdenhotels, fürstliche Innenräume; Bilder von nicht alltäglicher Schönheit. Das Spiel ist bis aufs kleinste ausgefeilt; wenig Massenszenen, dafür die Einzelszenen wohl durchdacht und mit hübschen Regieeinfällen ausgestattet. Die Handlung schweift des öfteren Einzelheiten zuliebe etwas aus, bleibt aber immer interessant und erhebt sich in den letzten Akten zu packendster Wirkung.

Mia May spielt als Lavinia ihre Rolle mit ruhiger Selbstverständlichkeit, ohne Starmanieren und Aufdringlichkeiten, mit sichtlichem Streben nach Vertiefung. Den nüchternen, herrischen Geldmenschen Marland gibt Albert Steinrück, brutal, sinnlich, rücksichtslos auf sein Ziel losgehend. Diesem vierschrötigen Gewaltmenschen gegenüber wird die Tat der Lavinia Marland rückhaltlos verständlich. Den als Verführer von Marland gedungenen Vicomte de Cardillac, den Glücksritter und Frauenliebling, spielt Alfred Gerasch, der bildschöne Wiener Burgschauspieler, mit lässiger Grazie und liebenswürdiger Kanaillerie, ohne weichlich zu wirken. Paul Bildt als schwindsüchtiger Maler, Albert Patry als Dr. Harrison und Otto Treptow als würdiger Diener seines Herrn, des Vicomte, gaben bewährte Leistungen. (...)

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