Lebewohl, Fremde

Deutschland 1990/1991 Spielfilm

Weniger Thema als Problem

Asylland Deutschland: Tevik Ba?ers Film "Lebewohl, Fremde"


Peter Körte, Frankfurter Rundschau, 22.08.1991


Eine Frau in der Krise trifft einen Mann auf der Flucht. Keiner beherrscht die Sprache des anderen. Dennoch beginnt eine Liebesgeschichte. Sie endet tragisch, weil der Mann Asylant und die deutsche Polizei pflichtbewußt ist. Später erhält die Frau einen Gedichtband; aus dem Klapptext erfährt sie, daß der Fremde ein Dichter war und in einem türkischen Gefängnis starb. Das war "die neue deutsche Katastrophe von Cannes" meldete "Die Zeit" von der Côte d"Azur.

Und leider war das nicht nur richtig, weil Tevfik Başer durch einen neuen Paß zum deutschen Filmemacher geworden ist. Es ist auch wahr, weil er, neben der Staatsangehörigkeit landesübliche (Un-)Sitten angenommen hat. Zum ersten Mal hat Başer die Enge einer Wohnung ("40 qm Deutschland") oder Gefängniszelle ("Abschied vom falschen Paradies") mit den weiten Horizonten einer Nordsee-Hallig vertauscht. Dennoch wirkt "Lebewohl, Fremde" unfreier, miefiger, zäher.

Die Sprachbarriere zwischen der Liebenden ist weniger ein Thema als das Problem des Films. Warum muß Grazyna Szapolowska von Eva Mattes nachsynchronisiert werden, die Darstellerin der Karin, wenn der Film Müsfik Kenter nur Türkisch sprechen läßt? Warum muß dies in einem Synchronton geschehen, der in den Ohren scheppert? Und warum schließlich Dialoge, die nicht mehr hölzern knarren, sondern hölzern sind? "Wovon leben sie?" fragt die ahnungslose Karin, die aus einer Großstadt namens Hamburg stammt, wo derzeit monatlich 900 Asylbewerber eintreffen. Ihre Ahnungslosigkeit wird nur noch übertroffen von der Weltenferne der Dialoge, an denen, auch Thomas Strittmatter, der junge Romancier und Koautor von Jan Schütte, mitgewirkt hat. Es: sind Deutschkurssätze oft vorgetragen wie auf einer Übungskassette, so fern von einer künstlichen wie von gesprochener Sprache. Im deutschen Kino ist dieses Idiom indes längst die Landessprache.
Doch selbst wenn sie miteinander reden könnten, hätten sich Karin und Deniz kaum etwas zu sagen. Ihre Nachdenklichkeit und Empfindsamkeit tragen beide mit sich herum wie schweres Gepäck: "Wir hätten bestimmt viel gemeinsam." Nur die erotische Anziehung nicht. Wenn sie die Narben auf seiner Brust betastet, denkt man eher an eine Ärztin als an eine Liebende, und statt Erotik knistert nur das Drehbuchpapier. Dafür werden die Bilder beredt: prätentiöse Traumsequenzen von Gefängnisfluren, kulminierend im Schlußbild, wo Deniz auf einem Gang liegt, von tragischer Musik umflort. Daß man solche Bilder für Träume und Metaphern erklärt, die mit der Realität nicht übereinstimmen müßten, macht sie nicht besser. Um so schlimmer für die Metaphern.



Başer hat seinem Kameramann freie Hand gelassen. Der in diesen Tagen vielbeschäftigte Hans Günther Bücking (neben Helmut Bergers "Nie im Leben" fotografierte er auch sein eigenes Werk "Einmal Arizona"), hat das auf seine Weise genutzt. Bückings Bilder sind einfach schön, schöner als eine Fremdenverkehrszentrale sie je zustande brächte und exakt mit jenem Schuß Kunstgewerbe, den man vielerorts, als Poesie-Surrogat goutiert. Per "smoke gun" wird extra-dunstiges Licht erzeugt, Turnersche Tage wechseln mit einem Nachthimmel von Magritte. Die Himmelsdramatik reicht von neblig-trüb zu heiter bis wolkig, vom Wolkenbruch bis zur finalen Sturmflut. Land unter!

"Lebewohl, Fremde" zielt auf ein Publikum, das in Filmpreis-Jurys, multikulturellen Gremien und konfessionellen Bewertungsstellen hinter verschlossenen Toren sitzt, doch nicht in unseren Filmtheatern. Auch dieses Mal wird gewiß die eine oder andere Kommission die poetische Durchdringung eines aktuellen Stoffs rühmen und die sensible Menschlichkeit der Erzählführung prämieren. So stellen sich Kommissionen wichtige Themen vor, weil sie sich gar keine Geschichten mehr vorstellen können, die man sehen will.

"Man" ist dabei nicht das populistische Versteck fürs Kritiker-Ich. "Man", das sind vermutlich alle außer den Gremium und den Gildekunst-Verehrern: Das vielbeschworene "breite Publikum", die Warentesterfraktion der Filmkritiker wie ihre akademischen oder feuilletonistischen Sparringspartner, die Kids und: die gesetzteren Freunde "anspruchsvoller Unterhaltung". "Man", das sind einfach zu viele. Wenn Tevfik Başer, wie er angekündigt hat, seinen nächsten Film in der Türkei realisiert, dann wird er hoffentlich auch von der deutschen Kino-Krankheit genesen, die sich mehr und mehr in seine Filme eingeschlichen hat.


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