Nichts bereuen

Deutschland 2000/2001 Spielfilm mit Animationsteilen

Nicht mal in Ruhe angefasst!

Jugendliche Wirren in Debütfilmen von Benjamin Quabeck und Maria Speth



Merten Worthmann, Die Zeit, 15.11.2001

Nie wieder wird das, was außerordentlich und dramatisch erscheint, und das, was nur normal und lächerlich ist, noch einmal so sehr dasselbe sein wie in der Jugend. Zu keiner anderen Zeit liegt alles Existenzielle so dicht an der Oberfläche, schlägt die emotionale Richterskala so munter aus auch ohne ernsthafte Erschütterungen im Herzen der Erde. Das macht die Jugend als Kinostoff besonders beliebt. Filmemacher dürfen mit einer voll ausgebauten Gefühlspalette arbeiten, ohne dafür schon voll ausgebildete Charaktere nachweisen zu müssen. Und sie erreichen maximales Identifikationspotenzial mit vergleichsweise geringem Aufwand, denn draußen im Saal sitzt niemand, dem die entsprechenden Standardsituationen nicht selbst gut bekannt wären. In einem Geleitwort zu Benjamin Quabecks Film "Nichts bereuen" heißt es sehr schön: "Zielpublikum sind alle, die schon mal mit dem Erwachsenwerden in Berührung gekommen sind." Das klingt wie ein leichtes Spiel: nur grob zu zielen und trotzdem immer zu treffen.

Und von weitem sieht es auch aus wie leichtes Spiel. Erste Liebe, knuffige Kameraderien, ausgesuchte Peinlichkeiten, erster Sex, Saufen, Prügeln, erste Reife. "Nichts bereuen" schüttelt das bekannte Set aus dem Ärmel und reicht deshalb über unser aller Horizont kaum hinaus. Aber diesen Horizont, der immer weiter wegrücken wird, holt er für eine Weile noch einmal so dicht heran, dass die eigene Nase fast schon wieder hineinragt. Wahrscheinlich liegt alles Glück dieses kleinen Films nur in der Wahrhaftigkeit seiner Gesten, seiner Sprechweisen, seiner Sprüche und Typen, und wenn man weiß, dass der Regisseur Benjamin Quabeck mit diesem Werk sein Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg abgeschlossen hat und selbst erst 25 Jahre alt ist, dann könnte man "Nichts bereuen" auch geschwind abtun als talentiertes Debüt, dessen erhöhte Tuchfühlung sich einfach durch die Jugendlichkeit des Regisseurs ergibt. Wer allerdings eine gewisse Anzahl jener High-School- und Pubertätskomödien aus den letzten Jahren durchgestanden hat, ob nun die Originalbausätze aus Hollywood oder die Nachbauten aus Deutschland, der schätzt Quabecks Talent gleich doppelt und dreifach hoch, seine Direktheit, seine kleinen Schamlosigkeiten, sein absolutes Gehör für den passenden Ton – und seine Entscheidung für den Hauptdarsteller Daniel Brühl, dem die innere Sprunghaftigkeit des 19jährigen Helden Daniel zwischen Neugier, Euphorie und Zerknirschung bis in die Fingerspitzen und Mundwinkel hineinreicht (und der sicher bald ein deutscher Kinostar ist). Daniel kommt mit dem Abi aus der Schule und sagt in die Kamera: "Ich hab noch nie mit"m Mädchen geschlafen, auch noch nie eins geleckt, nicht mal in Ruhe angefasst." Der Film geht so drauflos wie dieser Satz, ist aber auch genauso fein gefeilt. "Seit 1480 Tagen" träumt Daniel von der großen Liebe mit Luca, einer Schulfreundin, und noch viel länger misst er sich an seinem besten Freund Dennis, dem routiniertesten Aufreißer unter Wuppertals Sonne. Natürlich gibt es Ärger mit beiden, dazu Langeweile auf der einen, dann Stress auf der anderen Zivildienststelle, dafür aber eine neue Chefin, die zupackender küsst, als Daniel je etwas getan hat in seinem Leben. Er lernt – in mehr als einer Hinsicht.


Auch "Nichts bereuen" strebt in verschiedene Richtungen. Quabeck experimentiert mit Parallelmontagen (das ist überflüssig); er meint es ernst mit seiner stürmischen Botschaft (das ist gut); sein Film soll trotzdem komisch sein (ist er auch, manchmal sogar sehr). Vor allem aber lässt er seine Figuren reden, und zwar so täuschend echt, wie man es niemals auf einer Drehbuchschule lernen könnte, und so locker, dass die große Kunst hinter den hingeworfenen Sätzen manchem gar nicht auffallen mag, höchstens, weil plötzlich ein seltsam tiefer Einklang herrscht zwischen Film und Zuschauer.

Figuren unter Verschluss

Diese offene Rede fehlt mit Entschiedenheit in Maria Speths "In den Tag hinein", einem Abschlussfilm der Potsdamer Filmhochschule, der zufällig zur gleichen Zeit wie "Nichts bereuen" startet und auch einem unzufriedenen Problemkind folgt. Speths Werk wirkt wie das gezwungene Negativ zu Quabecks ungezwungenem Positiv. Statt mit den Figuren beherzt ins Leben zu treten, zieht Speth sich auf eine Art polierte Sprödigkeit zurück. "In den Tag hinein" beobachtet die 22jährige Lynn (Sabine Timoteo), die mit ihrem Freund kaum redet, mit ihrem neuen Flirt, einem Japaner, kaum reden kann und mit ihrer Schwester, in deren Familie sie wohnt, kaum reden will. Sie treibt durch Berlin, voll von zartem Groll und zerstreuter Melancholie; nur wenig mehr erfährt man von ihr. Vor einigen Wochen ist an dieser Stelle Angela Schanelecs minimalistische Komposition "Mein langsames Leben" sehr gelobt worden. Maria Speth neigt einer ähnlich asketischen Ästhetik zu und hat mit dem gleichen, großartigen Kameramann gearbeitet. Reinhold Vorschneider taucht Berlin diesmal vor allem in kühl schimmernde Grün- und Blautöne, lässt oft Neon strahlen und achtet genau auf die Architektur. Seine Bilder sind fantastisch, nur fehlt ihnen jetzt ein substanzieller Fond, der sie erst wirklich zum Leuchten brächte. Speth erzählt nicht minimalistisch, sondern bloß minimal; sie verzichtet nicht mutig, sondern mutwillig. Was sich als vornehme Zurückhaltung tarnt, entspringt der Berührungsangst vor dem Durcheinander des Lebens. Der vermeintlich radikalere, klarere Film ist in Wahrheit ein einziger Kompromiss. Anstatt tief zu loten, verharrt Speth an der Oberfläche, lässt Vorschneider die Tristesse lackieren und hält ihre Figuren unter Verschluss. Benjamin Quabeck hat den viel unsaubereren Film gedreht, einen Film mit aufgekrempelten Ärmeln, immer mal unsicher im Schritt und mit momentanen Absencen, ein Schmuddelkind im Vergleich zum adrett kostümierten Werk von Maria Speth. Wenn man aus deren Übung in Leerlauf wieder heraufgedämmert ist, wirkt aber die vorpreschende Fülle von "Nichts bereuen" erst recht wie ein Segen. Bei Quabeck wirkt alles, was im Grunde doch nur normal und lächerlich ist, noch einmal außerordentlich und dramatisch. So soll es sein. So ist es gewesen.

© Merten Worthmann

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