Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan

Deutschland 1997/1998 Spielfilm

Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan



Katja Nicodemus, TIP Magazin, Nr. 18, 1998

Ein Mann aus der Zukunft, zwei Frauen aus der Gegenwart, Utopia im märkischen Sand. Rudolf Thome verbindet Science-fiction, Krimi und Liebesgeschichte - und macht mit Cora Frost die schauspielerische Entdeckung der Saison.

Seit Hanna Schygulla ist keine mehr so durch einen deutschen Film gewandelt. Cora Frost hat es auch, dieses schwebende Danebensein, dem man eigentlich nur mit Widersprüchen auf die Spur kommt: diffus und zugleich präzise, abwesend und hyperpräsent, hellwach und bekifft. Wie bei Schygulla ist auch ihre Leinwanderscheinung eher Zustand als Darstellung - ein träges, verträumtes Gleiten durch die Horizontale.

Cora Frosts Geheimnis in Rudolf Thomes neuem Film läßt sich nicht auf den Punkt, nur aufs Paradox bringen: als Verbindlichkeit im Unverbindlichen.

Unverbindlich, weil ihr entrücktes Lächeln, ihre leicht affektierte Sprache wie zufällig auf Thomes Film zu verweisen scheinen, als sei sie von einem fremden Stern gefallen und halt in "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" gelandet.

Verbindlich, weil sie mit allem Vorgefundenen so vertraut scheint, als sei sie wiederum nur und unbedingt für diesen Film vom Himmel gefallen. Das Kinodebüt der nicht zu fassenden Frost ist sozusagen die filmische Entsprechung der Heisenbergschen Unschärferelation - versucht man sie festzulegen, ist sie schon wieder ganz woanders.

In einer der ersten Einstellungen von "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" erzählt Cora Frost alias Luise während einer Autofahrt von ihrer verregneten Hochzeitsreise. Sie wirft den Kopf zurück, lacht ausladend, und je banaler das Gesagte, desto genauer hört man zu. Ihre ungehemmte Überspanntheit schlägt Funken mit der geheimnisvollen Aura eines fremden Mannes, den Luise und ihr Filmgatte Theo gerade eingeladen haben, irgendwann mitten in der Nacht, irgendwo auf einer Landstraße nach Berlin. Der Mann ist platinblond, sieht aus wie der junge Achternbusch und heißt Frank Mackay.

Ein Auto, die Nacht und die Straße, eigentlich nichts Besonderes und doch beunruhigend, denn Thomes Helden sind irgendwie aus der Zeit gefallen. Schon jetzt hat man das seltsame Gefühl, mit ihnen in völlig unbekannte Gefilde zu reisen.

Frank Mackay ist Archäologe. Er kommt aus einer fernen Zukunft, in der die Männer unsterblich und die Frauen ausgestorben sind. Mit seinem neugierigen, etwas zu offenen Lächeln, seiner deutlichen, etwas zu bedächtigen Sprache, seinen bewußten, etwas zu behutsamen Bewegungen ist er der zweite Fremdling des Films. Luise macht ihm Avancen, doch Mackay hat die Zeit durchquert, um Laura Luna zu treffen, eine Schriftstellerin, deren Foto er bei Ausgrabungen gefunden hat. Mit einem riesigen Rosenstrauß macht sich der Zeitreisende auf, die von fern Verehrte zu treffen.



Ganz gelassen erzählt Thome seine Unwahrscheinlichkeiten. Manchmal rückt die Kamera noch ein bißchen näher an die Figuren heran, als wolle sie sich vergewissern, daß das alles wahr ist. Mackay, der Mann aus späteren sexsublimierenden Jahrtausenden, trifft auf das bodenständige Berlin der Gegenwart. Mit der Aufmerksamkeit eines Ethnografen sieht er Luise beim Bettenmachen zu. Im Nachtclub verharrt die Kamera lange auf seinem von Stroboskopblitzen verzerrten Gesicht. Als er seine aus der Zukunft mitgebrachten kleinen Goldbarren eintauscht, wird er von einem zwielichtigen Händler übers Ohr gehauen. Außerdem hat der Zukunftsmensch das Vergnügen, Laura Lunas Verlegerin Irm Hermann zu treffen, die fröhlich feststellt, daß sie im Haushalt definitiv eine Niete ist.

In Thomes Film fühlt man sich wie befreit von allen erwarteten und erahnten Wendungen. Science-fiction, Krimi, romantische Liebesgeschichte -"Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" hat von jedem Genre etwas und streift doch alles ab.

Dann beginnt die andere Zeit. Auf der Flucht vor nie in Erscheinung tretenden Feinden verstecken sich Frank, Luise und Laura einer Waldvilla. Und bleiben.

Luise kocht, Laura schreibt, Frank beobachtet. Bald pendelt sich die Liebe ein im triangulären Gleichgewicht. Rousseaus Gemeinschaft der Seelen, dem aufklärerischen Ideal der Empfindsamkeit verbunden, die freie Liebe der 68er, zeitlose ländliche Rückzugsphantasien - bei Thome findet die Utopie ihren Frieden in Brandenburg. Eine Utopie der "letzten Menschen", ähnlich abgeschlossen wie in Thomas Morus" Urschrift "Utopia". Unter der heiteren Sonne Brandenburgs, jenseits der verwirrenden Einflüsse des brutalen Berlins schwinden alle störenden Hemmungen, Leidenschaften, Antinomien. An ihre Stelle tritt ein Gefühl des Behagens, der Ausgeglichenheit. Gleichmaß, epikuräischer Genuß, geistigkünstlerisches Arbeiten, Naturbeobachtung. Die schmale, luftige Brücke, die bei Morus in die reale Welt zurückführt, ist bei Thome die Straße ins nächste Dorf. Ab und zu muß das verschlungen verliebte Trio einkaufen und hin und wieder einen Goldbarren eintauschen.

Im Idyll wird die Zeit zur unbestimmten Dauer. Ein Zustand, wie geschaffen für Cora Frost. Die Utopie ist das Reich, in dem ihre Luise so zurückhaltend wie unumschränkt regiert. Und hier, wo sie nichts zu tun hat, als ihren erotischen und kulinarischen Neigungen nachzugehen, erreicht ihre lethargische Laszivität den Gipfel der Selbstgewißheit.

Für einen merkwürdigen Augenblick kehrt die Zeit dann doch ins Paradies zurück. Frank Mackay hat eine Schlange gefangen. Mit weitaufgerissenen Kiefern verschlingt sie eine Maus. Zwei lebende und zwei tote Augen starren in die Kamera, bis das Säugetier nach einer kurzen Ewigkeit im Rachen des Reptils verschwindet.


Natürlich, es gibt sie noch, die Welt des Fressens und Gefressenwerdens, die Welt der eifersüchtigen Theos. Daß Thome sie für einen glücksentschlossenen Moment vergessen macht, entspricht der inneren Schönheit seines Films.

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