Feuerreiter

Deutschland Frankreich Polen 1997/1998 Spielfilm

Feuerreiter



Michael Hanisch, film-dienst, Nr. 24, 24.11.1998

Das Leben des deutschen Dichters Friedrich Hölderlin – erzählt von der Mitte seines Lebens aus rückwärts, einer Mitte, die in Wirklichkeit bereits das Ende war. 1802 lebte er im freiwilligen Exil im französischen Bordeaux und erfuhr, daß die Geliebte, derentwegen er aus Deutschland geflohen war, in Frankfurt im Sterben liegt. Er eilt zu ihr und erinnert sich, wie er 1796 als "Hofmeister" in die Familie des Frankfurter Bankiers Gontard kam und sich dort sehr schnell in die Frau des Hauses verliebte. Es ist eine Zeit der historischen Umwälzungen. Während Hölderlin und sein Freund, der Baron von Sinclair, von einer deutschen Republik träumen, fürchten sich andere vor den französischen Soldaten, die nicht nur neue Ideen über den Rhein bringen, sondern auch Krieg, Verwüstung und die Guillotine. Gontard schickt seine Familie mit dem Hauslehrer aus Furcht vor den bevorstehenden Umwälzungen nach Hamburg, wo die Liebe zwischen Hölderlin und Susette Gontard eine kurze Erfüllung findet. Nach Frankfurt zurückgekehrt, entdeckt der Bankier sehr bald das Verhältnis seiner Frau und antwortet darauf mit wiederholten Demütigungen des Dichters. Das Paar plant die Flucht. Als es nicht dazu kommt, verlangt Gontard die Trennung der Liebenden. Die folgenden zwei Jahre gelten als die produktivsten im kurzen Leben des Dichters. Doch die erhoffte Anerkennung bleibt aus. Zu groß sind die Schatten, die die deutschen Dichterfürsten Goethe und Schiller werfen. Hölderlin verläßt Deutschland und geht nach Bordeaux. Als er 1802 zu der todkranken Geliebten eilt, kann er nur noch eine Tote in die Arme schließen. Auch dem Freund, Baron von Sinclair, gelingt es nicht, Hölderlin zu helfen. Im Alter von 36 Jahren wird er in Tübingen in eine Irrenanstalt eingewiesen. Er hat noch 37 Jahre, die Hälfte des Lebens, vor sich.


Über Europa rollt die Kostümfilmwelle. Ausgelöst von den Engländern, schwappt sie nun auch auf den Kontinent über. Filme über Goethe und Christiane Vulpius, über Brentano stehen bevor, in Polen bereitet Andrej Wajda das Nationalheiligtum "Pan Tadeusz" für die Leinwand auf, Jerzy Hoffman folgt mit Sienkiewiczs gewaltigem Geschichtsopus "Mit Feuer und Schwert". Für das polnische Fernsehen arbeitet eine Regisseurin an den letzten Tagen im Leben des deutschen Dichters Heinrich von Kleist. Der Däne Bille August verfilmt Selma Lagerlöf und Victor Hugo. Am Ende unseres Jahrhunderts flüchtet sich das europäische Kino ins Bildungsgut vergangener Epochen. Nun also Hölderlin. Nachdem 1985 schon Herrmann Zschoche bei der DEFA in "Hälfte des Lebens" (fd 26 385) vom Dichter, seiner Liebe zu Madame Gontard und seinem Leiden an Deutschland erzählte, jetzt Nina Grosse mit einem weit aufwendigeren Film. Elf Mio. Mark brachte Produzent Jürgen Haase in Frankreich, Polen und Deutschland dafür zusammen. Viel Aufwand, viele Anstrengungen und Mühen also. Hat es sich gelohnt?

Was ist dieser Film? Was will, was kann er sein? Das Drama vom Künstler, der an der Zeit, an seiner Umgebung zerbricht? Der Künstler als Außenseiter einer Gesellschaft, die sich enge Normen gegeben hat, denen er nicht genügen kann und will? Der Dichter als zerbrochener Spiegel seiner Zeit? Das große Gefühls- und Liebesdrama jenseits von Zeit und Raum? Bio-Pic oder kostümierte Love-Story, Zeitbild oder Liebesroman? Von all dem hat der Film etwas, aber von nichts genug. Ein Film zwischen den Stühlen, der sowohl die Freunde des großen Gefühlskinos als auch die wenigen enttäuschen dürfte, die ins Kino gekommen sind, um hier eine erneute Annäherung an diesen nie aus der Mode gekommenen Dichter zu erleben. Wenn die Erinnerung nicht täuscht, erzählte Zschoche damals die Geschichte in seinem ebenfalls nicht rundum geglückten Film konzentrierter. Nina Grosse und Drehbuchautorin Susanne Schneider reißen alles an und kapitulieren schließlich vor der Fülle des für sie Wichtigen und Erzählenswerten. Natürlich will und kann der Film kein Panorama der Zeit vermitteln.


Deutsche Enge und deutsche Kleinstaaterei, französische Revolution und revolutionäre Ideen, Krieg und Terror – während in der ersten Hälfte des Films der historische Hintergrund durchaus präsent ist, wird er danach nahezu vollkommen ausgeblendet. "Was sind Jahrhunderte gegen den Augenblick, wo zwei Wesen sich so ahnen und nahn...", schrieb Hölderlin im "Hyperion". Ganz gewiß trat für den Dichter in jenen wenigen Momenten des Liebesglücks "die Welt da draußen" weit zurück. Doch muß sie auch im Film total verschwinden? Und à propos Liebesgeschichte: Leider fällt Nina Grosse auch bei der Beschreibung dieser so kurzen amour fou erschreckend wenig ein. Allzu schnell flüchtet sie sich in den Liebesszenen zu den hinlänglich vertrauten wehenden Tüchern. Gewiß hat es seinen Reiz, deutsche Geistestitanen wie Hegel und Schelling als burschikose junge Männer zu sehen, doch die Szene hat darüber hinaus weiter keine Funktion, als schlaglichtartig auf die geistige Situation deutscher Intellektueller im Schatten Weimars hinzuweisen.

Insgesamt fehlt der übergreifende, inspirierende Funke. Dieser Hölderlin ist nicht das, was er im positiven Fall hätte werden können: eine Identifikationsfigur für junge Zuschauer. Der unpünktliche Tagträumer, der ob seiner Exaltiertheit und Überspanntheit zum Gespött der normalen, braven Bürger wird, der unter dem Mißbrauch der Kunst zur Zerstreuung und bloßen Unterhaltung leidet – Berührungspunkte mit Hölderlin gäbe es zuhauf. Doch mehr als Andeutungen hat der Film nicht zu bieten. Keine glückliche Hand hatte die Regisseurin auch bei der Besetzung. Sie mag das Bodenständige, Zigeunerhafte ihres Hauptdarstellers Martin Feifel überzeugt haben, der Zuschauer aber kann dieses Gefühl nicht nachvollziehen. Eher schon bei Susette Gontard in Gestalt der Französin Marianne Denicourt, die in ihrer vergleichsweise viel statischeren Rolle ein Maximum an Gefühl zu zeigen vermag. Eine eigenartige Kühle geht hingegen von Ulrich Matthes in der herrlich zwiespältigen Rolle des Aristokraten mit liberalen Ideen aus, des homosexuellen Dandys, der den Freund unterstützt, beschützt und letztlich aus Eifersucht verrät. Ein Schauspieler, der neben seiner Rolle zu stehen scheint. Und schließlich Ulrich Mühe, der bei Zschoche einst den Dichter spielte, hier aber den Ehemann, den Frankfurter Bankier Gontard. Er allein füllt seinen Part aus, läßt in dieser Figur eines korrekten, geradlinigen Deutschen die Dimensionen sichtbar werden, die dahinter stehen. Hier allein scheint man all das Äußere, das Kostüm zu vergessen, hier ist tatsächlich Leben.

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