Hitler - Eine Karriere

BR Deutschland 1976/1977 Dokumentarfilm

Hitler – Eine Karriere


USE, film-dienst, Nr. 15, 19.07.1977

Seiner in mehr als einer halben Million Exemplaren verbreiteten Hitler-Biografie hat Joachim C. Fest, nachdem er vor einigen Jahren bereits eine Fernsehdokumentation geschaffen hatte, nunmehr eine zweiundeinhalb Stunden dauernde Filmfassung gegeben. Unter den bisher vorliegenden Hitler-Darstellungen ist seine nicht nur die umfangreichste, sondern auch die am meisten um ein differenzierteres Hitler-Bild bemühte. Mit den Klischees vom Psychopathen und "Teppichbeißer", vom Verbrecher oder gar Dämon ist nicht jene Faszination zu erfassen, die er auf erhebliche Teile des deutschen Volkes und auch auf das Ausland ausgestrahlt hat. Gewiß hat viel an Psychopathischem, an Verbrecherischem oder auch Dämonischem in seinem Naturell gelegen, von Halbbildung und kleinbürgerlichen Ressentiments durchsetzt, und sehr richtig betonen Fest und seine Mitarbeiter die außergewöhnliche demagogische und theatralisch-inszenatorische Begabung Hitlers. Aber es scheint doch fast zu viel an pompösen Aufmärschen und jubelnder Massenhysterie wiedergegeben zu sein, denen gegenüber die durchaus vorhanden gewesene "schweigende Minderheit" völlig fehlt. Das Bild der Deutschen, nichts als ekstatisch angeheizte Statisten beim ritualisierten NS-Schwulst, könnte von neuem die Kollektivschuld-These belegen.

Natürlich bleibt jeder sich dokumentarisch gebärdende Film auf das beschränkt, was an Filmdokumenten aufgenommen und erhalten geblieben ist. Trotz einiger Funde, etwa des Amateurstreifens der Eva Braun vom Obersalzberg, ist kein wirklich relevantes Material neu herbeigebracht worden. Die vielfach verblaßten Wochenschaubilder aus der Stummfilmzeit sind nicht nur konservatorisch aufbereitet, sozusagen auf filmischen Hochglanz gebracht, sondern auch mit Musik und vor allem noch tönendem Volksjubel unterlegt. Da die "Menge" bei den damaligen Nazi-Aufmärschen, wie auch das Bild selbst zeigt, noch etwas dünn blieb, stimmt der dazu eingeblendete Jubelton einfach im Volumen nicht ganz. Solche Manipulationen lassen skeptisch gegenüber Szenen werden, deren Echtheit nicht so leicht nachgeprüft werden kann. Gegenüber den 1190 Seiten der Taschenbuchausgabe muß der Film natürlich auf viele Einzelheiten verzichten und sich meist auf eher summarische Darstellungen und peinliche Simplifizierungen beschränken. Wesentliche Symptone jener Jahre werden verschwiegen, und daß bei einem chronologisch angelegten Film mitunter nicht einmal die Chronologie stimmt, sollte einem sich als Zeithistoriker versuchenden Autor eigentlich nicht unterlaufen.

Nach ein paar Szenenfragmenten von der aufwendigen Eröffnung das Hauses der Deutschen Kunst in München 1937, die schon den Hinweis auf die gleichfalls außergewöhnliche Neigung des "Führers" zum schauerlichsten Kitsch geben könnten, blendet der Film in Hitlers Jugend und damit in die Grundlagen seines verklemmten Seelenlebens, seiner Kontaktarmut und menschlichen Beziehungslosigkeit, seiner Arbeitsscheu und seines Größenwahns über, aus denen sich vielfach das Wesentlichste an seinem späteren Erscheinungsbild bereits ablesen läßt. Das Linkische an seinen Bewegungen und seinem Auftreten überwand er allmählich, wobei Fest übergeht, daß es mit Hilfe von Schauspiellehrern geschah, und konsequent arbeitete er daran, sich sozusagen zum Erlöser des deutschen Volkes emporzustilisieren. Aber selbst an den wenigen Bildern, die ihn gemeinsam mit Mussolini zeigen, wird deutlich, daß dieser die weitaus begabtere Schauspielerpersönlichkeit gewesen ist. Aber wenn Fest in seinem Buch das Kapitel über Hitlers Persönlichkeit als "Blick auf eine Unperson" überschreibt, wird im Film der ganze Nationalsozialismus sozusagen in Hitler personalisiert, als sei er jener Übermensch gewesen, der alles allein vollbracht habe. Von seinen Anregern wird außer Richard Wagner und Lanz von Liebenfels kaum jemand in Text oder Bild erwähnt, und der Beitrag seiner Mitarbeiter, auch wenn sie außer Schacht und wenigen anderen weitgehend Scharlatane gewesen sind, erscheint so gut wie gar nicht, weder Alfred Rosenberg als Chefideologe der Bewegung noch Julius Streicher als Antreiber zur Judenverfolgung, weder Keitel als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht noch gar Martin Bormann als der entscheidende Drahtzieher hinter den Kulissen. Für Fest scheint es nur "Adolf Hitler Superstar" zu geben.

Wenn Hitler, seinen eigenen Worten nach, einen Kampf um die Seele des deutschen Volkes ausgetragen habe, als dessen Ergebnis hier Szenen von fast religiös scheinender Verehrung des "Führers" gezeigt werden, ist dieser Kampf in erster Linie einer gegen die Kirchen gewesen. In Fests Film wird zwar ein polnischer Kirchenfürst und dann eine Gruppe das Kreuz erhebender russischer Bäuerinnen gezeigt, aber der deutsche Kirchenkampf ist totgeschwiegen, und daß der NS-Führerkult weitgehend ein Ersatz für den kirchlichen Kultus sein sollte und ihm oft bis in Äußerlichkeiten nachgeahmt wurde, kommt nicht ins Bild. Jedoch neben den gleichgeschalteten Deutschen Christen unter Reichsbischof Müller hatte es im evangelischen Bereich die Bekennende Kirche gegeben, und auch sie hat ihre Märtyrer in den Konzentrations- und Vernichtungslagern gehabt. Die Predigten etwa von Kardinal Faulhaber in München, von Bischof Graf Galen in Münster oder von Bischof Bornewasser in Trier hatten weit über ihre Diözesen hinaus gewirkt und viele Christen in ihrer Haltung einer inneren Verweigerung der neuen Erlösungslehren bestärkt, und der Mut von Bischof Graf Galen zwang die Machthaber zum (zumindest vorübergehenden) Zurückweichen in der Frage der Euthanasie. Im Winter 1941/42 hat eine jugendliche jüdische Widerstandsgruppe in Berlin eine antijüdische Hetzausstellung im Berliner Lustgarten in Flammen aufgehen lassen: Eine Tat, die für viele damals ein Fanal gewesen war und sich vornehmlich an deutschen Universitäten nicht weniger rasch und nachhaltig herumsprach wie später die Aktion der Geschwister Scholl in München. Zwar wird kurz auf die KZ"s verwiesen, aber daß Hunderttausende an Deutschen durch sie und die Gestapo-Keller gegangen waren, ehe die östlichen Völker von ihnen betroffen wurden, verschweigt Fest leider ebenso wie den Terror, der in der Köpenicker Blutwoche vom Juni 1933 seinen ersten Höhepunkt gefunden hatte. Gewiß hatte es die "Lichtdome" über dem nächtlichen Nürnberger Reichsparteitaggelände oder dem Berliner Olympiastadion mit ihren jubelnden Massen gegeben, aber zum Bild Hitlers hätte auch das Dunkel in den Gefängniszellen der Gestapo oder das Elend in den Konzentrationslagern gehört. Wie viel an Jubel und scheinbaren Freudentränen mag purer Angst entquollen sein? Zum objektiven Bild Deutschlands und der Deutschen hätte die Front zwar weitgehend nicht aktiven Widerstands, aber die gar nicht so geringe des Schweigens und der passiven Verweigerung gehört, als deren Stimme freilich nur die eines Teiles vom Klerus beider Konfessionen hat in die Öffentlichkeit dringen können. Da es wohl kaum Dokumentaraufnahmen gibt, hätten hier wenigstens ein paar Zeugenaussagen die notwendige Rektifikation geben müssen.

So bringt auch dieser Hitler-Film wiederum nur einen Teilaspekt aus der Wirklichkeit der dreißiger und frühen vierziger Jahre, allzu sehr wieder auf das Führerbild und seine Träume von der Züchtung eines neuen Menschen zentriert. In dieser Beschränkung ist er freilich für kritische Besucher durchaus sehenswert, und er ist streckenweise, etwa mit den an Leni Riefenstahl erinnernden Aufnahmen vom Reichsparteitag oder mit der Bildfolge über den nächtlichen Todesmythos, bei dem nur als wesentliches Detail die Totenkopfflagge der Pimpfe vom Deutschen Jungvolk mitsamt deren Liedern ("Ja, die Fahne ist mehr als der Tod") fehlt, von geradezu schon gefährlicher filmischer Brillanz. Vom Mißbrauch der Jugend, von Haussuchungen und politischem Mord, von der Not der Emigration und von verzweifelten Selbstmorden, die für viele die unauslöschliche Erinnerung an jene Jahre sind, scheint Fest nichts zu wissen.

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