Ab heute erwachsen

DDR 1985/1986 Spielfilm

Kleiner Mann, was nun?



Margit Voss, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 9, 1985




Der neue Film von Günther Scholz funktioniert im Kino, das heißt, er zieht ein meist jugendliches Publikum an und entläßt es offensichtlich mit dem Gefühl: "Da hat uns endlich einmal jemand verstanden."


"Ab heute erwachsen" befaßt sich mit dem alltäglichen Vorgang des Flüggewerdens. Damit jedoch ist noch kein Thema formuliert, sondern lediglich der Bereich abgesteckt. Das erklärt die Unentschiedenheit und Unvollkommenheit der Fabel, die schließlich zu den Schwankungen in der Figurengewichtung führte.

Der Regisseur, der auch als Mitautor fungierte, hat in der Schilderung der Werkgeschichte einen Fingerzeig gegeben, worauf diese Unentschiedenheit zurückzuführen sein könnte. Er hat sich von einem authentischen Problemfall inspirieren lassen. Wider besseres Wissen sperrte sich eine Mutter gegen die Versuche ihres (nunmehr erwachsenen) Kindes, selbständig zu werden, reagierte auf jeden Emanzipationsversuch mit Abwehr und Hysterie. Scholz konnte sicher sein, daß dieser Fakt, der in dieser oder abgewandelter Form mit dem unmittelbaren Erlebnisbereich des Publikums korrespondiert, auf breites Interesse stoßen würde.

Um aber ein Kunstwerk daraus zu formen, das den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, bedarf es bekanntermaßen eines Prozesses, den Goethe so formulierte: "Die Wirklichkeit soll die Motive hergeben, die auszusprechenden Punkte, den eigentlichen Kern; aber ein schönes, belebtes Ganzes daraus zu bilden ist Sache des Dichters." Dies kann wohl nichts anderes heißen, als daß der Kern einer Geschichte, herausgeschält und mit dem Standpunkt des Autors versehen, wichtige Positionen einer Gesellschaft offenbart. Figuren biographisch und sozial genau konzipiert und zueinander in Beziehung gesetzt, sollen mögliche Lebensmaximen einer Zeit bloßlegen, wobei die Kunst darin besteht, ein Geflecht herzustellen, aus dem, ohne Substanzverlust, niemand entlassen werden kann. Aber gerade dies ist nicht gelungen.


Trotz gemeinsamer Bucharbeit mit der Autorin Helga Schubert ist das Szenarium nicht in ein Stadium der Reife gelangt. Nur so erklären sich Ungeschicklichkeiten in der Exposition, die die Zielrichtung des Films eher verschleiern als erhellen.

Nicht der Sohn, sondern die Mutter gerät zur dominierenden Figur. (…) Da Mutter und Sohn schon länger allein miteinander leben, könnten Intimität, Vertrauen – warum nicht Sohnesliebe? – vorausgesetzt werden. Solche Bindungen lassen sich doch wohl nicht ad hoc wegwischen. Warum haben sie bei dem Heranwachsenden kein Verantwortungsbewußtsein herausfordern können? Zumindest hätte es eines gravierenden auslösenden Moments bedurft, um Stefans Entschluß, die gemeinsame Wohnung zu verlassen, für den Zuschauer glaubwürdig zu begründen. Mutter und Sohn werden, ohne charakterlich und sozial exponiert zu sein, in den Trennungskonflikt geschickt. Was Stefan machen will, worin sein Lebenskonzept besteht, bleibt offen. Seine Stationen erscheinen mehr zufällig, die eine ergibt sich nicht folgerichtig aus der anderen. Erfahrungen kulminieren nicht, sondern werden lediglich episodenhaft angehäuft. Deshalb erscheint der Mutterkonflikt ernsthaft und beachtenswert, die Mutter-Figur benachteiligt und eingeengt. Wenn sich Frau Winkler nur fortwährend einmischt, dem Jungen auf die Baustelle nachläuft, nach einer mißglückten Liebesnacht Stefans vor dem Bett steht und übelnimmt, wird sie eher diskriminiert, gar lächerlich gemacht, während diese Reaktionen doch einer tiefen Verletzlichkeit, Unsicherheit und Einsamkeitsfurcht entspringen. Was an Verständnis und Zerrissenheit zu spielen war, hat Jutta Wachowiak glänzend gespielt, aber ob in diesen knappen Szenen sichtbar gemacht wird, hier ist ein Mensch in seinem Lebensnerv beschädigt, daß er so leidet, daß es auch dem Zuschauer im Parkett
das Herz abdrücken müßte, wage ich zu bezweifeln. (…)

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